Name im Capitulare | Nr. | Botanischer Name | Familie |
lactucas |
|
Lactuca virosa L. | Asteraceae |
|
Botanische Beschreibung der Art
Wie der eng verwandte Kopfsalat
bringt auch der Gift-Lattich zunächst nur eine Blattrosette hervor,
die nach ein oder zwei Jahren im Sommer den Blütenschaft treibt. Nach
der Fruchtreife stirbt die Pflanze ab. Die blaugrünen Blätter
sind relativ steif, ungeteilt bis schwach buchtig gelappt und dabei am
Rand und auf der Unterseite der Mittelrippe mehr oder weniger stachelig.
Die unteren Blätter sind groß und lappig, nach oben werden sie
schnell kleiner und sitzend mit mehr oder weniger stengelumfassendem Grund.
Der Blütenschaft wird 60 -150 (-250) cm hoch und endet mit einer umgekehrt
pyramidenförmigen, reich verzweigten Rispe mit zahlreichen kleinen
Blütenköpfchen. DIe Hüllblättchen der Köpfe werden
10-12 mm lang und umgeben relativ wenige hellgelbe Zungenblüten, die
die Hülle nur wenig überragen. Wie viele andere Arten aus der
Unterfamilie Cichorioideae verwandeln sich auch beim Gift-Lattich die Köpfchen
zur Fruchtzeit in kleine "Pusteblumen". Das Flugorgan (Pappus) sitzt an
einem kurzen Stiel auf der kahlen, schwarzen, bis 3 mm langen Frucht. Die
Pflanze ist mehr oder weniger kahl und enthält in allen Teilen Milchsaft.
Verwechslungsgefahr besteht nur mit untypischen Exemplaren des Kompass-Lattichs
(Lactuca serriola), der normalerweise an den viel stärker eingeschnittenen,
streng senkrecht gestellten Blättern leicht zu erkennen ist. Pflanzen
mit mäßig verdrehten, mehr oder weniger ungeteilten Blättern
sind am sichersten an den Früchten zu identifizieren, die beim Kompass-Lattich
borstig-gezähnt sind.
Der Gift-Lattich wächst
auf relativ nährstoffreichen Schutt- und Felsböden in wärmebegünstigten
Lagen, z.B. im Weinbauklima. Die Vorkommen in Deutschland gehen vermutlich
alle auf Verwilderungen aus Kulturen zurück. Ursprünglich stammt
die Art wohl aus Südeuropa und dem Mittelmeerraum.
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Geschichte
Die älteste Darstellung
des Lattichs ist eine ägyptische Grabbemalung, die auf 4500 v. Chr.
datiert wird. Dabei herrscht eine erhebliche Verwirrung über die Identität
der Pflanze und bis heute ist nicht klar, welche Art die alten Ägypter
meinten. Neben dem Gift-Lattich kommen auch der wilde Kompass-Lattich (Lactuca
serriola) oder der Kultur-Lattich (Lactuca sativa) in Frage,
der vermutlich in Ägypten aus dem Kompass-Lattich gezüchtet wurde.
Der Lattich gehörte zum Kult des Gottes Min, der schon im Alten Reich
verehrt wurde. Er war der Gott der Wüste, des Blitzes und des Sandsturms,
aber auch der Fruchtbarkeit und der Zeugung. Seine Symbole waren Lattich
und Phallus. Dementsprechend galt der Lattich in Ägypten als Aphrodisiakum.
Merkwürdigerweise wurde
dem Lattich von den Griechen die gegenteilige Wirkung zugeschrieben. So
liest man bei Dioskorides (II,165): "Der wilde Lattich, welchen die Propheten
<Titansblut> , Zoroaster Pherumbos, die Römer Lactuca
silvatica nennen, gleicht dem Gartenlattich, hat aber einen stärkeren
Stengel, weißere, dünnere, rauhere und bitter schmeckende Blätter.
Im Ganzen ist er in seiner Wirkung dem Mohn ähnlich, weshalb auch
einige seinen Saft unter das Opium mischen. (...) Er ist überhaupt
schlafmachend und schmerzstillend. Ferner befördert er die Regel der
Frauen, auch wird er gegen Skorpions- und Spinnenstiche getrunken. Der
Same wird wie der des Gartenlattichs genommen, verhindert Pollution und
Beischlaf." Vielleicht war der Gift-Lattich auch das mysteriöse
Zwölfgötterkraut Dodecatheon, das Plinius gleich nach
dem sagenhaften Kraut Moly aufführt und als Allheilmittel preist.
Im Verlauf des Mittelalters
erlangte auch die berauschende Wirkung größere Beachtung. Der
arabische Arzt Ibn Sina (980-1036), in europäischen Schriften Avicenna
genannt, schildert die Zubereitung von Opium aus Lattichsamen. Um 1150
schreibt Hildegard von Bingen in ihren Physica, nachdem sie zuvor andere
Lattichsorten behandelt hat: " Aber die Giftlattiche haben beinahe dieselbe
Natur. Wer nämlich Lattiche, die unnütz sind und Unkraut genannt
werden, entweder roh oder gekocht äße, würde wahnsinnig,
das heißt unsinnig, und im Mark würde er leer, weil jene weder
warm noch kalt sind, sondern lediglich ein unnützer Wind, der die
Frucht der Erde ausdörrt und der keine Frucht bringt. Und jene Lattiche
wachsen aus dem Schaum des Erdschweißes und sind daher unnütz."
Vielleicht auch auf Grund dieser "Reklame" wurde der Gift-Lattich zum Bestandteil
der Hexensalben. Damit war dann auch der Ruf der Pflanze ruiniert und sie
geriet als Heilpflanze in Vergessenheit.
1771 entdeckte der Wiener
Arzt H. J. Collin den Gift-Lattich als Opiumersatz wieder und dem Amerikaner
Kore gelang 1792 die Gewinnung des sogenannten Lactucariums aus dem Milchsaft.
Dazu wird dem blühenden Spross die Spitze abgeschnitten, der austretende
Milchsaft von Hand oder mit einem Messer in eine Tasse abgestrichen und
an der Sonne getrocknet. Am Tag kann der Stängel bis zu sechs Mal
etwas gekürzt und "geerntet" werden. Dies kann bis zu 60 Tage fortgesetzt
werden. Eine ähnliche Methode beschrieb auch schon Dioskorides. In
den folgenden Jahren wurde die Art in Europa feldmäßig angebaut.
Das wichtigste Anbaugebiet in Deutschland lag an der Mosel, wo der Anbau
durch den Apotheker Alois Goeris aus Zell 1847 begonnen wurde. Dies ist
wohl auch der Grund, warum der Gift-Lattich heute noch in Weinbergen und
Felsen an der Mosel ziemlich häufig ist. Die Droge wurde als Lactucarium
germanicum gehandelt. Weitere Anbaugebiete lagen in England, Niederösterreich
und Russland. Da andere Lactuca-Arten weitgehend die gleichen Inhaltsstoffe
besitzen (auch der Kopfsalat, wenn man ihn nur schießen lässt!),
wurden auch diese angebaut. Das Lactucarium gallicum wurde in Frankreich
entweder aus dem Eichenlaub-Lattich (L. quercina ssp. chaixii)
oder dem Kopfsalat (Lactuca sativa) gewonnen. In Amerika wurde zum
gleichen Zweck Lactuca canadensis kultiviert. Berichte, nach denen
auch nordamerikanische Indianer Lattich als Rauschmittel geraucht haben,
beziehen sich wohl auf diese Art.
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Heutige Bedeutung und Verwendung
Die moderne Biochemie konnte
als wesentliche Inhaltsstoffe verschiedene Bitterstoffe aus der Klasse
der Sesquiterpene, vor allem sogenannte Guaianolide, nachweisen, die vor
allem für die sedative (beruhigende, Erregung dämpfende) Wirkung
verantwortlich sein sollen. Hauptbestandteile sind das Lactucin (C15H16O5)
und dessen para-Hydroxiphenylessigsäureester Lactupicrin. Ferner kommt
der Triterpenalkohol Lactucerol vor. Auf Grund der opiumähnlichen
Wirkung und der Benutzung in Hexensalben wurde lange vermutet, dass die
Pflanze auch ein Alkaloid enthält. Dies ließ sich aber nicht
bestätigen.
In der Schulmedizin spielt
die Droge keine Rolle mehr. Allerdings wird die Pflanze immer noch in kleinem
Umfang zur Herstellung von Pharmazeutika gegen Erregungszustände angebaut.
In der Homöopathie wird sie u.a. als Mittel gegen Schlaflosigkeit
und Reizhusten verwendet. Wegen erheblicher Nebenwirkungen bis zum Delirium
tremens ist allerdings dringend von Selbstmedikation abzuraten! Als Rauschmittel
kann Gift-Lattich Zustände hervorrufen, die als "schwacher Traumzustand"
oder"aphrodisisches 'High'" beschrieben wurden. Auf der Suche nach legalen
Ausweichdrogen sind in jüngster Zeit auch diesbezüglich interessierte
Kreise wieder auf den Gift-Lattich aufmerksam geworden. Eine Lattich-Zubereitung
ist sogar unter dem Handelsnamen "Lettucene" registriert und wird im Gemisch
mit Extrakten anderer psychoaktiver Pflanzen als "extrastarkes" Haschischsubstitut
unter reißerischen Namen wie "Hash Oil" oder "Hashish" gehandelt.