BIOkybernetisches Zentrum AAChen







Evolution der Biscutella laevigata-Gruppe
Basisinformation und Lösungen
 

Die Biscutella laevigata-Gruppe (Brillenschötchen) ist ein typisches Beispiel für ein komplexes Evolutionsgeschehen, das mit der Eiszeit in Zusammenhang steht. Zur Zeit der größten Vereisung reichten die Gletscher von Norden bis an die Deutsche Mittelgebirgsschwelle, von Süden bis an den heutigen Verlauf der Donau heran. Dazwischen erstreckte sich eine von Gräsern und Zwergsträuchern beherrschte Vegetation, wie man sie heute noch in der Tundra oder in den Alpen über der Baumgrenze findet. Für Bäume war es hier zu kalt.

Vor ca. 10 000 Jahren erwärmte sich das Klima, so dass sich die Gletscher endgültig zurückzogen und langsam wieder Bäume nach Mitteleuropa einwanderten. Dadurch wurden die Arten der eiszeitlichen Tundrenvegetation gezwungen, den Gletschern nach Norden und Süden nachzufolgen, oder auf Sonderstandorte verdrängt, die auch unter günstigeren klimatischen Bedingungen nicht von Bäumen besiedelt werden können. Dazu zählen z.B. Felsstandorte (wie beim Brillenschötchen), Moore, größere Quellen oder Schwermetallrasen.

Die vorher zusammenhängenden Populationen wurden so stark dezimiert und voneinander separiert. Dadurch entstanden typische Gründerpopulationen im Sinne der Synthetischen Evolutionstheorie. Teils aufgrund unterschiedlicher Umweltbedingungen und damit unterschiedlicher Selektion, teils aber auch durch rein zufällige Ereignisse (z.B. Gendrift) entwickelten sich die getrennten Populationen unterschiedlich. Dies bezeichnet man auch als allopatrische Artbildung. Diese fängt stets mit der Separation, also räumlichen Abtrennung einer kleinen Teilpopulation, an, die dann  eine eigenständige Entwicklung durchmacht und sich allmählich von der Ausgangsform weg entwickelt. Solange noch fruchtbare Kreuzungen zwischen Mitgliedern verschiedener Populationen möglich sind, redet man von Unterarten derselben Art. Ist diese Kreuzung nicht mehr möglich, handelt es sich um verschiedene Arten; aus der abgespaltenen Population ist also eine neue Art geworden.
(Anmerkung: In vielen Lehrbüchern wird leider nicht genau zwischen Separation und geografischer Isolation unterschieden. Die Separation ist der Prozess der räumlichen Abtrennung einer Teilpopulation durch das Entstehen von Barrieren oder aktive Migration von Individuen und damit grundsätzlich der Beginn jeder allopatrischen Artbildung. Als Isolation bezeichnet man Faktoren, die verhindern, dass es wieder zur Vermischung getrennter Populationen kommt. Die geografische Isolation, also die Trennung durch natürliche Barrieren wie Berge, Flüsse etc., ist nur ein sehr schwaches Argument, eine Sippe als eigene Art zu betrachten.) 

Wenn durch eine Mutation der Chromosomensatz verdoppelt wird, entstehen schlagartig Individuen, die mit Individuen der Ausgangspopulation nicht mehr kreuzbar sind. Grund ist die gestörte Paarung der homologen Chromosomen in der Meiose. Dies ist eine Möglichkeit der sogenannten sympatrischen Artbildung. Tetraploide Organismen sind oft vitaler und anpassungsfähiger. Bei Säugetieren gibt es diesen Typ der Artbildung nicht, weil das XY-System der Geschlechtsbestimmung dadurch gestört ist.
 
 
 

Lösungen Aufg.

a) Der Urahn hatte 18 Chromosomen und kam in der eiszeitlichen Tundrenvegetation verbreitet vor. Nach der Eiszeit wurde die Population durch die Wiederbewaldung in viele kleine Teilpopulationen auf baumfreien Reliktstandorten separiert, die sich nach dem allopatrischen Mechanismus zu unterschiedlichen Sippen entwickelt und hier bis heute gehalten haben. Diese Vorkommen können also als Eiszeitrelikte gewertet werden. In der Population, die den zurückgehenden Gletschern in die Alpen gefolgt ist, ist es durch eine Mutation zur Tetraploidie gekommen. Hier haben die vitaleren und konkurrenzstärkeren tetraploiden Pflanzen die alten diploiden Typen verdrängt. Die südostalpine lucida könnte allopatrisch aus einer "Ur-36er" entstanden sein, wobei aber fraglich ist, wodurch die Separation zustande gekommen sein könnte. Wahrscheinlicher ist, dass laevigata s.str. am Alpennordfuß und lucida unabhängig davon aus einer südostalpinen Sippe mit 18 Chromosomen entstanden ist.

b) Eine Kreuzung von "36er" und "18er"-Sippen erscheint sehr unwahrscheinlich. Deshalb müssten die Sippen mindestens 2 verschiedenen Arten zugeordnet werden. Die große morphologische und ökologische Ähnlichkeit aller Sippen lässt vermuten, dass alle 18er untereinander noch kreuzbar sind und also als Unterarten einer Art zu werten sind. Nach den Ausführungen unter a) ist es sowohl vertretbar, laevigata und lucida als separate Arten als auch als Unterarten einer gemeinsamen Art zu werten - jedenfalls solange experimentelle Kreuzungsergebnisse ausstehen. In jedem Fall erscheint es äußerst fragwürdig, Sippen mit unterschiedlicher Ploidiestufe als Unterarten der gleichen Art aufzufassen.
 

 
 

Zum Seitenanfang

zurück zur Grünen Schule

Home

zuletzt bearbeitet am 9. III. 2002