21.März 2013

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Gefräßig: Die Florfliege vertilgt Blattläuse, Spinnmilben – und noch viel mehr

Ruth Gestrich-Schmitz

Im Jahr 1999 wurde erstmals ein „Insekt des Jahres“ gekürt. Die Auszeichnung erhielt damals die Gemeine oder Grüne Florfliege (Chrysoperla carnea) aus der Ordnung der Netzflügler (Neuroptera), die wegen ihrer auffälligen, glänzenden Facettenaugen auch Goldauge genannt wird. Jeder hat sie schon einmal gesehen, mit ihren langen Fühlern und ihren zarten, gläsern aussehenden, netzartig durchzogenen, grünen Flügeln, die in Ruhestellung dachförmig aufgerichtet sind. Zu dieser Jahreszeit findet man sie häufig auf Dachböden, Kellern oder am Fenster, wo sie sich einen Platz zum Überwintern gesucht haben.

Von wegen zart

Man kann sich kaum vorstellen, dass dieses so harmlos und zart wirkende Geschöpf eine Gefahr für andere Insekten darstellt: Denn erwachsene Florfliegen ernähren sich nicht nur von Pollen und Nektar, sondern erbeuten auch pflanzensaugende Schadinsekten. Besonders gefräßig sind ihre Larven: Von ihrer Lieblingsspeise, den Blattläusen, vertilgen sie während ihrer Entwicklungsphase bis zu 400, weswegen sie auch Blattlauslöwen genannt werden. Daneben fressen sie auch Spinnmilben, Thripse, Schmierläuse und andere Kleininsekten, bei Nahrungsmangel greifen sie schon mal ihre eigenen Artgenossen an. Ihren Heißhunger auf Schadinsekten macht man sich zu Nutze, indem für die biologische Schädlingsbekämpfung Florfliegeneier und –larven in großen Mengen gezüchtet werden. Auf die befallenen Pflanzen ausgebracht, rücken die Larven dann rasch den Schadinsekten zu Leibe.

Ein Florfliegen-Weibchen legt in seinem Leben bis zu 700 Eier auf Blättern in der Nähe von Blattlauskolonien ab. Die Eier sitzen einzeln oder in Gruppen auf haarfeinen, zirka fünf Millimeter langen Stielchen. Dazu sondert die Florfliege an der Unterseite eines Blattes einen Tropfen Spinnlösung aus ihren Drüsen ab, legt ein Ei hinein und zieht das Ei nach unten. Auf diese Weise entsteht ein Seidenfaden, der innerhalb weniger Sekunden aushärtet. Die Stielchen sollen die Eier vor Fressfeinden schützen. Nach zwei bis zehn Tagen schlüpfen die Larven, die mit ihren langen, dünnen Saugzangen am Mund die Beute packen, ihr ein Verdauungssekret injizieren und sie dann aussaugen.

Nach zwei bis dreiwöchiger Entwicklung spinnt sich die Larve in einen erbsengroßen, kugeligen Kokon ein, aus dem nach etwa einer Woche das fertige Insekt (Imago) schlüpft. Im Jahr wiederholt sich dieser Lebenszyklus zwei- bis dreimal. Im Herbst nehmen die erwachsenen Tiere eine gelbliche Farbe an und suchen sich zum Überwintern Hohlräume in Bäumen, Strohhaufen, Laubstreu oder auch Gebäuden.

Überwintern im Nistkasten

Will man diese Nützlinge gerne in seinem Garten haben, sollte man ihnen geeignete Überwinterungsmöglichkeiten bieten: Spezielle Nistkästen mit einer Lamellenfront, gefüllt mit Stroh, kann man entweder selbst aus Holz bauen oder im Fachhandel kaufen.

Nicht nur für die biologische Schädlingsbekämpfung ist die Florfliege interessant, auch die äußerst reißfesten und biegesteifen Eierstiele sind Objekt der Forschung: Der Eierstiel, etwa fünfmal dünner im Durchmesser als ein menschliches Haar, ist so biegesteif, dass er beim Herumdrehen des Blattes, an dem er auf der Unterseite befestigt ist, mitsamt dem Ei senkrecht nach oben steht. Er ist so stabil, dass er durch das Gewicht des Eis nicht gekrümmt oder zusammengedrückt wird. Wissenschaftler an der Universität Bayreuth konnten im Labor mittels eines biotechnologischen Verfahrens Eierstiele nachbauen, die dem natürlichen Vorbild sehr nahe kommen.

Diese künstlich erzeugten Seidenproteine könnten in Zukunft zu neuartigen Fasern oder zu hauchdünnen Beschichtungen weiterverarbeitet werden: Mögliche Anwendungen sind beispielsweise in der Medizintechnik die Beschichtung von Kathetern oder Implantaten, damit sich darauf keine Keime ansiedeln, oder die Herstellung künstlicher Nervenleitungen.

Im Fahrzeugbau, etwa für Airbags, oder als winzige Kapseln in der Kosmetik- und der pharmazeutischen Industrie wäre ein Einsatz denkbar. Vielleicht lassen sich auch die Klebstoff-Eigenschaften für transparente, biologisch verträgliche Klebstoffe in der Zahnmedizin nutzen.


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zuletzt bearbeitet am 31.III.2013