22.Aug.2013

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Er lässt nichts Gutes ahnen: Teufelszwirn. Auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Karl Josef Strank

Der Name Teufelszwirn lässt nichts Gutes ahnen und, wenn man die Wortbestandteile einzeln nimmt, so steht der Zwirn für einen aus mehreren Garnen zusammengedrehten, linienförmigen, starken Faden und der Teufel, die Ausgeburt allen Übels, spricht eh für sich. Bei der Pflanze muss es sich also um ein fädiges, höllischen Ärger verursachendes Teufelszeug handeln. Weil die teuflischen Zwirne die Wirtspflanzen oft mit einem feinen Gewebe überziehen, werden sie mit einem anderen Namen auch als Seide bezeichnet.

Die bei uns häufigste Vertreterin ist die Nessel-Seide, Cuscuta europaea, die schon Linné beschrieben hat. Die Pflanze befällt in Auwäldern und an deren Rändern Brennnesseln und den Hopfen. Sie windet sich mit 20 bis 100 Zentimeter langen fadenförmigen Stängeln um die Wirtspflanzen und überzieht diese nach einiger Zeit mit einem dichten fädigen Knäuelgewirr, in dem sie mit ihren grünen Blättern regelrecht untergehen. Die Nessel-Seide besteht nur aus weißlichen bis hell-grünlich-gelben, später rötlichen Stängeln, die keinei Blätter aufweisen. Wurzeln fehlen ebenfalls gänzlich. Da ihnen alle Voraussetzungen für eine effektive Photosynthese fehlen, leben sie folglich als Vollschmarotzer, das heißt sie beziehen Wasser, Nährsalze und Assimilate komplett über die Wirtspflanzen. Zu diesem Zweck bilden sie Saugfortsätze, sogenannte Haustorien, aus, mit denen sie in die Wirtspflanzen eindringen und beide Leitungssysteme, das Xylem für Wasser und Nährsalze und das Phloem für den Zuckersaft anzapfen.

In der Zeit von Juni bis September überzieht sich das fädige Gespinst dann mit einer Vielzahl von im Durchmesser 1 - 1,5 Zentimeter großen, köpfchenförmigen Blütenständen. Die Blüten sind drei bis fünfzählig, meist vierzählig, rötlich, weißlich gelb oder rein-weiß. Im August bis September reifen Kapselfrüchte mit je vier hartschaligen Samen. Nur diese überleben den Winter, das fädige Gespinst vergeht. Der Parasit ist also gezwungen, jedes Jahr aufs Neue seine Wirtspflanzen zu finden, zu umgarnen und auszusaugen, damit er genügend Samen produzieren kann. Diese keimen im Dunkeln, d.h. auch inmitten dichter Vegetation. Die Keimpflanzen sind kleine bleiche Fäden, die keine Keimblätter ausbilden, keine Photosynthese betreiben und die Umgebung mit kreisenden Suchbewegungen nach passenden Wirtspflanzen regelrecht abtasten. Sie sind gezwungen relativ schnell einen Wirt zu finden, denn die Nährstoffvorräte aus dem Samen halten nicht lange vor.

Erst kürzlich hat ein Forscherteam in Amerika herausgefunden, wie die Cuscuta-Arten in möglichst kurzer Zeit erfolgreich ihre jeweiligen Wirte finden. Die verschiedenen Arten haben sich auf bestimmte Wirtspflanzen spezialisiert und befallen nicht wahllos alle möglichen Pflanzen. Die Forscher experimentierten mit Cuscuta pentagona und Tomatenpflanzen. Offensichtlich leiten Duftsignale, die von der Tomate ausgehen, die Wachstumsbewegungen des Vollschmarotzers gezielt in ihre Richtung. Sobald die Suchfäden der Tomate nahe genug gekommen sind, umgarnen sie diese und setzen sofort ihre Saugnäpfe an.

Die Tomate

Hat der Teufelszwirn die Wahl zwischen Tomaten und Weizen als Wirtspflanze, wählen sie gezielt die Tomate. Weitere Forschungen ergaben, dass Weizen neben anziehenden Duftstoffen auch solche besitzt, die den Teufelszwirn abstoßen. Diese Substanzen wecken wieder das Interesse der Forscher, um daraus eine Abwehrstrategie gegen Teufelszwirne zu entwickeln. Denn Kulturbestände, die der Vollschmarotzer erwischt, werden so gründlich niedergemacht, dass es zum Totalverlust der Ernte führen kann.

Die vollschmarotzenden Teufelszwirne oder -seiden gehörten früher zu den gefürchtetsten Ackerunkräutern. A. Koelsch schreibt 1912 in seinem Buch über „Würger“ im Pflanzenreich: „Die Seiden plündern ihren Wirt nicht an der Wurzel und mit der Wurzel aus, sondern ziehen mit ihrem oberirdischen Gebäude auf Raub; sie saugen dementsprechend auch an den oberirdischen Organen der Opfer (...). Die Seiden verwüsten ihre Ernährer bis auf den Grund.“ Heute spielen die Teufelszwirne keine so verheerende und die Landwirte beunruhigende Rolle mehr. Vielmehr sind die schmarotzenden, wirtsspezifischen Ernährungsspezialisten des Pflanzenreiches häufig selbst stark bedroht, wenn die Wirtspflanzen nicht mehr angebaut werden. So ist möglicherweise aufgrund des enormen Rückgangs des Flachsanbaus der Flachs-Teufelszwirn, Cuscuta epilinum, weltweit ausgestorben. Das ist die Kehrseite der Vollschmarotzer-Strategie, sie liefern sich auf Gedeih und Verderb ihren Wirtspflanzen aus.

voriger Artikel ← | → nächster Artikel

Auswahl nach Erscheinungsdatum

Auswahl nach Themenstichwort

Startseite

zuletzt bearbeitet am 26.VIII.2013