3.Juli 2014

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Garten-Lattich und Gift-Lattich, oder: Salat ist nicht gleich Salat

Ruth Gestrich-Schmitz

Sommer, Sonne, Hitze, dann tut leichte Kost gut und ein erfrischender Salat ist genau das Richtige für das Wohlbefinden. Bereits im Capitulare de villis, der Landgüterverordnung Karls des Großen, ist der Lattich unter der Bezeichnung „lactucas“ aufgeführt. Ob es sich dabei um den Garten-Lattich, den wir heute als Kopfsalat kennen, oder um den Gift-Lattich handelt, wissen wir nicht.

Der Garten-Lattich (Lactuca sativa) aus der Familie der Korbblütler (Asteraceae) wurde bereits im alten Ägypten kultiviert und breitete sich über die antike griechische und römische Welt aus. Er wurde nicht nur als Salat, sondern vor allem als Gemüse verzehrt. Außerdem galt er als Aphrodisiakum. Der Name lactuca geht auf das lateinische Wort lac für Milch zurück, wegen des weißen Milchsaftes, der bei Verletzungen des Stängels oder beim Schneiden der Blätter aus den Blattadern austritt. Vermutlich mit den Römern gelangte der Lattich nach Deutschland, wo er aber als Antiaphrodisiakum galt, als kühlend und Appetit anregend. Zunächst wurde er als Vorspeise genossen, später wegen der von Dioskorides (Leibarzt Neros, 1. Jh. n. Chr.) angegebenen einschläfernden Wirkung ans Ende eines Mahls gesetzt. Die gegensätzlichen Wirkungen beruhen wohl darauf, dass die frischen Salatblätter kaum Milchsaft enthalten, während der geschossene Blütenschaft sehr reich an Milchsaft ist, der die gleichen psychoaktiven Wirkstoffe enthält wie der Giftlattich. Galen (griech. Arzt, 2. Jh. n. Chr.) schreibt: „Als ich älter zu werden begann… war ich nur dadurch imstande, mir den nötigen Schlaf zu verschaffen, dass ich abends eine Portion gekochten Salats verspeiste“. Als Gemüse wurde der geschossene – also einen Blütenstand besitzende – Lattich zubereitet. Für die beruhigenden Eigenschaften sind wahrscheinlich die Bitterstoffe Lactucin, Lactupicrin und Lactucerol verantwortlich. In den als Salat genutzten Blättern ist der Gehalt aber viel zu gering, um spürbare Effekte hervorzurufen.

Der Gift-Lattich (Lactuca virosa), der bevorzugt auf relativ nährstoffreichen Schutt- und Felsböden in wärmebegünstigten Lagen wie im Weinbauklima wächst, wurde bereits in der Antike als Narkotikum und Schmerzmittel kultiviert. Die Inhaltsstoffe des Milchsaftes wirken außerdem Hustenreiz stillend und harntreibend. Der Milchsaft des Gift-Lattichs ist als stark giftig eingestuft. Als Symptome treten Schweißausbruch, Schwindel, Kopfschmerzen und Sehstörungen auf. Die Brechreiz auslösende Wirkung wurde wohl im Mittelalter bei großen Festen dazu genutzt, sich nach dem Essen zu erleichtern, um gleich wieder mit dem Schlemmen fortfahren zu können. Wegen der Nebenwirkungen ist allerdings dringend von Selbstmedikation abzuraten!

Der getrocknete Milchsaft des Gift-Lattichs wurde auch „Opium des kleinen Mannes“ genannt, im Verlauf des Mittelalters erlangte die Opium ähnliche, berauschende Wirkung größere Beachtung. Als Rauschmittel kann der Gift-Lattich Zustände hervorrufen, die als „schwacher Traumzustand“ oder „aphrodisisches High“ beschrieben werden. Zur Gewinnung des sogenannten Lactucariums aus dem Milchsaft wird dem blühenden Spross die Spitze abgeschnitten, der austretende Milchsaft in eine Tasse abgestrichen und an der Sonne getrocknet. Dies kann bis zu sechs Mal am Tag und bis zu 60 Tage fortgesetzt werden. Ein äußerst mühseliges, aber anscheinend lohnendes Unterfangen.

Das wichtigste Anbaugebiet in Deutschland lag an der Mosel, wo der Apotheker Alois Goeris aus Zell oder das „Kräuterweib“, die Witwe Bartz aus Enkirch, Mitte des 19. Jh. mit der Kultivierung begonnen haben soll. Dies ist wohl der Grund, warum der Gift-Lattich heute noch in Weinbergen an der Mosel häufig zu finden ist. Hauptanwendungsbereich war der Einsatz als Betäubungs- und Schmerzmittel und zur Behandlung von Bronchialerkrankungen. Während des ersten Weltkrieges stieg der Bedarf an Betäubungs- und Schmerzmitteln für die verwundeten Soldaten rasant an, der Gift-Lattich-Anbau wurde öffentlich gefördert, auch während des Dritten Reiches, wie in der Chronik der Gemeinde Briedel bei Zell an der Mosel zu lesen ist. Mit der Einführung von preislich erschwinglichem Opium aus Asien kam der Gift-Lattich-Anbau zum Erliegen. Erst in den 70er Jahren des 20. Jh. feierte die Pflanze eine Wiederentdeckung, als sich die Wirkung in Hippie-Kreisen herumsprach.

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zuletzt bearbeitet am 4.VII.2014