15.Jan.2015

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Kleine Alexandersittiche, Guppies und tropische Ringelwürmer zu Besuch

N. N.

Deutschland ist Einwanderungsland. Über 2000 Pflanzen- und Tierarten haben sich seit 1492, dem Jahr des Erstkontakts mit der Neuen Welt, in Deutschland zeitweilig oder dauerhaft niedergelassen. Die Biologen nennen diese Neuankömmlinge Neophyten (Pflanzen) beziehungsweise Neozoa (Tiere). Mittlerweile sind ca. 400 Neophyten und rund 270 Neozoa fest eingebürgert, die Zahl der nur sporadisch verwildernden Arten liegt allerdings etwa um den Faktor drei höher. Die meisten machen keine Probleme, sondern bereichern unsere Natur, einige wenige haben sich jedoch als invasiv erwiesen und bedrohen die menschliche Gesundheit (beispielsweise Riesen-Bärenklau und Ambrosia) oder bringen das ökologische Gleichgewicht durcheinander (zum Beispiel der Japan-Knöterich). Aber ausnahmsweise soll es hier einmal nicht um die Bösewichte unter den Einwanderern gehen, sondern um die unerwarteten, nämlich die aus tropischen Ursprungsländern. Und ausnahmsweise wird dafür auch mal nicht der Klimawandel zur Begründung herangezogen, sondern eher lokale Auswirkungen menschlicher Tätigkeit.

Entlang des Rheins haben sich die Anwohner an die lautstarken Halsbandsittiche gewöhnen müssen, die in großen Kolonien nisten und echte Kulturfolger sind. Der Halsbandsittich wird auch Kleiner Alexandersittich genannt, da Alexander der Große ihn angeblich nach Griechenland mitbrachte, und er ist mittlerweile die häufigste Papageienart der Welt. Alleine in Köln sollen mehr als 2000 Exemplare leben. Ursprünglich stammen die leuchtend grünen Vögel mit ihren roten Schnäbeln und dem charakteristischen schwarzen Streifen um den Hals aus Indien und Afrika, aber mittlerweile sind sie auch in vielen Großstädten Mitteleuropas und den USA heimisch. Das in Städten grundsätzlich wärmere Klima sagt ihnen zu, und da sie auch mit Frost recht gut klarkommen, werden sie uns wohl auch dauerhaft erhalten bleiben.

Ein kaum bekanntes Einfallstor für tropische Neobiota sind allerdings Aquarien, denn so mancher Hobbyaquarianer entsorgt seine Tiere und Pflanzen am Ende der Leidenschaft in der freien Natur. Erstaunlicherweise gibt es in Mitteleuropa einige Bäche und Flüsse, die für tropische Arten dauerhaft geeignete Lebensbedingungen schaffen.

Die untere Erft ist so ein subtropischer Fluss geworden, seit sogenanntes Sümpfungswasser aus den Tagebaugebieten eingeleitet wird. Das aus 400 Meter Tiefe geförderte Wasser ist warm und macht 70 bis 80 Prozent der Gesamtwassermenge der unteren Erft aus. Selbst bei strengstem Frost sinkt die Wassertemperatur nie unter zehn Grad Celsius und im Sommer herrschen für eine subtropische Fauna und Flora angenehme 20 Grad. Schon 1966 wurde die aus Indien eingeschleppte, auffällige Rotalge Compsopogon hookeri nachgewiesen, die mit meterlangen Trieben in der Strömung flutet. Der in den Tropen auf der ganzen Welt verbreitete Wassersalat (Pistia stratiotes), eine manchmal auch saisonweise in Gartenteichen gehaltene Schwimmpflanze, überlebt in der Erft mitunter sogar den Winter. Da ist das Vorkommen von Azolla filiculoides, dem Große Algenfarn aus dem subtropischen Amerika, fast schon trivial, denn dieser Neophyt hat sich auch in anderen klimatisch begünstigten Regionen Deutschlands eingebürgert. Bemerkenswerter sind da sicherlich die aus dem Aquarienhandel bekannten, karibischen Guppies, die man sowohl in der Erft als auch im Gillbach, einem ebenfalls aufgeheizten Erft-Zufluss, regelmäßig findet. Aber auch Sonnenbarsche, Rotwangen-Schmuckschildkröten, Warmwasserschnecken oder tropische Ringel- und Plattwürmer haben dort eine neue Heimat gefunden. Vor einigen Jahren soll in der Erft sogar ein Piranha gefangen worden sein. Bisher allerdings ein Einzelfall. Bisher…

Noch extremer ist die Situation in dem kleinen Warmbach bei Villach in Österreich, wo aufgrund von geothermischen Wärmequellen konstant 24 bis 29 Grad Celsius herrschen. Hier vermehren sich ausgesetzte Westafrikanische Juwelenbuntbarsche, Rote Amerikanische Sumpfkrebse aus Mexiko, die Mosambique-Tilapia, südamerikanische Antennenwelse, oder sogar der Fahnen-Kirschflecksalmer vom Oberlauf des Amazonas in Peru. Wozu in die Ferne schweifen, sieh‘ die Tropen sind so nah…

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zuletzt bearbeitet am 12.II.2015