19.Febr.2015

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Was Robin Hood und Thor mit dem Rotkehlchen gemeinsam haben

Karl Josef Strank

Im Winter zeigt sich in unseren Gärten ein Vogel, der zu den bekanntesten in Europa zählt, das Rotkehlchen. Die Art ist in Westeuropa bis zum Ural und Vorderasien verbreitet. Unterarten besiedeln geografisch getrennte Areale in Großbritannien, Gran Canaria, Teneriffa, Nordafrika, West-Sibirien, der Krim, dem Kaukasus und Transkaukasien bis in den Nord-Iran. Das Rotkehlchen scheint mit dem Menschen sehr vertraut, denn man beobachtet es häufig in der Nähe von Haus und Hof. Das liegt an der geringen Fluchtdistanz und macht uns – auch wegen des auffällig roten Kehl- und Brustgefieders – diesen Vogel sehr sympathisch. Von seiner Beliebtheit zeugen auch die vielen, regionalen Namen, die das Rotkehlchen seit dem Mittelalter hat. In England bezeichnet man es als „Robin“, was unweigerlich die Assoziation zu Robin Hood weckt.

Das Rotkehlchen wird zur Familie der Fliegenschnäpper gestellt. Seine Nahrung besteht aus einer Vielzahl von Kleintieren: vor allem Insekten (Raupen als wichtiges Nestlingsfutter, Käfer, Fliegen, Wespen, Ohrwürmer, Wanzen, Blattläuse, kleine Spinnen, Würmern und Schnecken). Mit diesem Nahrungsspektrum erweist es sich als willkommener Freund des Gärtners. Im Spätsommer und Herbst stellt es die Nahrung um auf Beeren und weiche Früchte (Pfaffenhütchen, Hartriegel, Holunder, Schneeball, Schneebeere, Efeu, Faulbaum...).

Der Gesang des Rotkehlchens wird als „perlend“ bezeichnet. Er beginnt oft leise, endet laut und hat auffallende Frequenzunterschiede, typische Sprünge in der Gesangshöhe. Er beginnt etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang und ist bis in die Dämmerung fast das ganze Jahr über zu hören auch im Winter, wenn sie als Standvögel bei uns bleiben.

Das Rotkehlchen ist dämmerungs-, tag- und auf dem Flug auch nachtaktiv. Auf dem Boden bewegt es sich hüpfend fort und sucht den Boden nach Kleintieren ab. Von Sitzwarten stößt es schnell hinunter. Nahrung sucht es in den Ritzen der Borke auf Stämmen und Ästen und sogar im seichten Wasser von Pfützen und Teichen. Als ganzjähriger Standvogel verteidigt es in der Brutzeit ein eigenes Revier. Wenn Rotkehlchen umherhüpfen, wirken sie schlank und rank, bei Kälte und bei Regen sitzen sie ruhig da und plustern sich auf. In die nähere Verwandtschaft des Rotkehlchens werden die Nachtigallen und die Rotschwänze gestellt, aber auch Namensverwandte wie das Schwarzkehlchen und das Blaukehlchen. Sowohl in seiner Lebensweise als auch in seiner Verbreitung unterscheidet sich das Blau- sehr vom Rotkehlchen. Es ist transpaläarktisch, vom Nordrand der Strauchtundra südwärts bis in die Steppenzone und in einige südpaläarktische Gebirgszüge verbreitet mit kleinen Vorkommen in Nordalaska. In Europa weist es große Lücken auf. Größere Areale gibt es in den Beneluxländern, nördlich der Alpen in Deutschland und Österreich und entlang der Donau im ungarischen Raum. Seine Vorkommen bei uns an einigen Stellen entlang der Vennbahntrasse können von daher als eiszeitliches Relikt verstanden werden, was die Art interessant und schützenswert macht.

Germanen und Kelten galt das Rotkehlchen als Träger und Überbringer der Sonne. Es war ebenso wie der Gartenrotschwanz der Vogel des rotbärtigen Gottes Thor, der rotglühende Blitze schleuderte. Die Menschen glaubten, wo Rotkehlchen und Rotschwänzchen nisteten, dass Thor Haus und Hof hüte. Ähnliche Wirkkraft sagte man auch der oft rötlichen Hauswurz nach. Es war ein großer Frevel, zerstörte jemand das Nest eines Rotkehlchens. Sie wurden als Glücks- und Friedensbringer verehrt.

In der Christuslegende spielt das Rotkehlchen eine wesentliche Rolle. Als Jesus voll Schmerz und Pein am Kreuz hing, sah das ein kleiner brauner Vogel. Er weinte, als er die scharfen, stacheligen Dornen sah, die in das Haupt Jesu drangen. Er flog zum Kreuz und löste einen der Dornen aus der Krone, wobei seine Brust mit einem Blutstropfen besprenkelt wurde. In einer anderen Version singt das Rotkehlchen dem sterbenden Jesus etwas vor, damit er das Leiden besser erträgt und wird dabei mit dem Blut der Wunden gezeichnet. Die Engländer hätten beinahe das Rotkehlchen zu ihrem Nationalvogel gekürt, lange stellte es das Logo der Royal Society for the Protection of Birds.

 

 

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zuletzt bearbeitet am 3.IV.2015