19.März 2015

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Mehr als nur Schutz: Unsere Natur-Kultur-Landschaft braucht Pflege

Karl Josef Strank

Glaubt man der Beschreibung des römischen Schriftstellers Tacitus, so war Germanien zur Zeitenwende in der Antike jenseits des Rhein ein nasses und kaltes Land, was den an das Mittelmeerklima gewöhnten Römern nicht sonderlich gefiel, aber darüber hinaus auch ein von wilden, dichten und düsteren Wäldern geprägtes Land. Kultur konnten die Römer keine erkennen. Wandern wir im Sommer in den Alpen über Almwiesen und im Bereich der nackten Felsen, drängt sich uns der Eindruck auf, dass hier die Naturgewalten am Werk sind und die Landschaft prägen. Wir empfinden die Alpen als Prototyp einer Naturlandschaft schlechthin.

Aber sowohl im antiken Germanien als auch in den Alpen können wir davon ausgehen, dass Menschen einen gehörigen Einfluss auf die Naturlandschaft genommen haben und wir das heute in immer stärkerem Ausmaß tun. Nationalparks überlassen wir ihrer eigenen dynamischen Entwicklung. Das ist der Grundgedanke von Nationalparks, die damit bei einer empfohlenen Mindestgröße von 10 000 Hektar als Refugien für Pflanzen und Tiere gedacht sind.

Wie schwer es uns fällt, Teilflächen der Natur zu überlassen, zeigte sich an den Diskussionen, als im Nationalpark Bayrischer Wald weite Fichtenbestände dem Borkenkäfer überlassen wurden, ohne regulierend einzugreifen. Oft stehen dahinter natürlich wirtschaftliche Interessen, denn es tut Forstbesitzern in der Seele weh, wenn noch nutzbares Holz im Wald „einfach vergammelt“. Aber genau darin liegt der „ökologische“ Wert, denn Pilze, Insekten, Vögel und andere Organismen zersetzen und bereiten das Totholz auf. Im Laufe vieler Jahre sorgt die natürliche Sukzession über Kräuter, Stauden, Buschwerk und Jungwuchs von Bäumen dafür, dass sich wieder ein Wald entwickelt, der aber anders aussieht und artenreicher ist als der monotone Forst, der es einmal war. Weite Landstriche in Deutschland würden sich auf diese Weise zu Wald entwickeln, wenn man sie ließe und die derzeitige Nutzung aufgeben würde.

Das geschieht vielfach auf kleineren oder größeren Flächen, wenn Gärten, Wiesen, Äcker, aber auch gewerbliche oder industriell genutzte Flächen, Straßen- oder Schienenwege „brachfallen“. Verunkrautung setzt ein, gefolgt von Verbuschung, bis die ersten Bäume das Gelände erobern. Weil solche Standorte außergewöhnliche Bedingungen haben, siedeln sich häufig seltene Pflanzen (und Tiere) an. Das kann unter Umständen dazu führen, dass sie bei erneuter Nutzungsabsicht den Status eines Naturschutzgebietes erfüllen würden.

Wir sind geneigt, unsere abwechslungsreiche Landschaft mit Wäldern, Wiesen, Äckern, Hecken, Teichen, Bächen, die wir als schön empfinden, einzig dem Wirken der Natur zuzuschreiben. In Wirklichkeit handelt es sich in vielen Fällen um Lebensräume, die eigentlich als Kulturlebensräume bezeichnet werden müssen. Sie behalten ihre Charakteristik auf Dauer nur, wenn sie entsprechend gepflegt werden. Die Vielfalt der Arten ist durch die Vielfalt der Strukturen, die der Mensch durch wirtschaftende Tätigkeit geschaffen hat, erst entstanden.

Die alten extensiven Wirtschaftsweisen werden unter heutigen Bedingungen als unrentabel eingestuft und nur noch selten praktiziert. Sie sind inzwischen ein Fall fürs Museum. Dort werden sie von Laien an bestimmten Tagen übers Jahr verteilt den Besuchern vorgeführt.

Eine „Unter-Schutz-Stellung“ von Obstwiesen, Magerwiesen, Bächen, Teichen, Feldgehölzen, Hecken und anderen Strukturelementen in der Landschaft bewirkt wenig, wenn nicht auch Maßnahmen ergriffen werden, diese regelmäßig zu pflegen. Mit dem Projekt Quo Vadis unterstützen das Sozialwerk Aachener Christen, der Freundeskreis Botanischer Garten, Stadt und Städteregion und das Jobcenter diese Aufgabe. Mitarbeiter werden für landschaftspflegerische Arbeiten qualifiziert. Natur- und kulturpflegerisch tätig sind sie auf dem Lousberg, in den Obstwiesen um Melaten und im Aachener Stadtwald.

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zuletzt bearbeitet am 3.IV.2015