29. März 2018

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Das Immergrün – erfolgreich, nicht nur über den kalten Winter

Astrid von Reis

In die Reihe der immergrünen Pflanzen, die in der dunklen Jahreszeit dem ungemütlichen, kalten Winterwetter „in grünem Kleid“ trotzen und damit Hoffnung geben und den Fortbestand des Lebens garantieren, gehören die Pflanzen mit dem bezeichnenden Namen Immergrün aus der Gattung Vinca. Aus sieben Arten, beheimatet in Europa, Nordafrika und Zentralasien, setzt sich diese Gattung aus der Familie der Apocynaceae, der Hundsgiftgewächse zusammen, die sonst nur in den Tropen vorkommt. Hier am bekanntesten sind Vinca minor, L., Kleines Immergrün und Vinca major, L., Großes Immergrün mit ihren Kultivaren. Als Bodendecker leben sie natürlicherweise in lichten Laubwäldern und bilden große grüne Teppiche. Seit langer Zeit haben sie auch in vielen Gärten und auf Gräbern ihren festen Platz. Die niederliegenden oder kriechenden Halbsträucher haben biegsame Triebe, die lederartige, glänzende Blätter tragen und an der Spitze wurzeln. Bei V. minor sind die Blätter eher lanzettlich und bis zu fünf Zentimeter lang, V. major hat eher eiförmige und bis neun Zentimeter lange Blätter. Und jetzt, an sonnigen Plätzen, beginnt das Kleine Immergrün zu blühen und gemeinsam mit vielen Frühblühern vom Frühling und passend zu Ostern von der Lichtgöttin Ostara zu künden. In den Blattachseln aufsteigender Triebe stehen wunderschöne, selten weiße, meist himmelblaue Blüten, deren Kelch mit den fünf röhrig verwachsenen Kronblättern an kleine Windräder erinnern. Bei Vinca minor beträgt der Blütendurchmesser 2,5 Zentimeter und bei Vinca major etwa vier Zentimeter. Durch Bienen und Schmetterlinge befruchtete Blüten entwickeln je zwei Balgfrüchte mit bis zu acht Samen, die oft von Ameisen verbreitet werden. In Mitteleuropa verbreiten sich die Pflanzen eher vegetativ über die Triebe. Unterschiedlich große Blätter, Blüten und Wuchshöhen, damit ist unschwer zu erraten, wie die beiden Pflanzen an ihre Artnamen gekommen sind. Hinsichtlich des Gattungsnamens ist es schwieriger: In der Literatur findet sich ein Hinweis, dass der Name Vinca von dem lateinischen Wort vincere abgeleitet ist, welches „besiegen“ bedeutet. Im Hinblick auf die Siege über die vegetationsunfreundlichen kalten Winter, ist dies eine schöne Deutung. Hierzu würde auch der mancherorts verwendete Name „Singrün“ (der Partikel sin bedeutet groß, dauernd) passen.

Im Standardwerk der Etymologie der botanischen Pflanzennamen von H. Genaust wird allerdings davon ausgegangen, dass Linné die Pflanzengattung nach dem lateinischen, gekürzten Wort „pervinca“ für Immergrün benannte, welches vom lateinischen „vincire“ für winden, biegen abgeleitet sein könnte, da aus den Trieben früher Kränze zum Tanz, als Brautschmuck und als Mittel gegen Hexen geflochten wurden. Mindestens seit der Antike wird Immergrün als Arznei-, Liebes- und Zauberpflanze benutzt. Ein gemeinsam gekautes Immergrünblatt war Garant für ein glückliches Eheleben, und im Mittelalter wurde ein Liebestrank für Verheiratete aus zerstampftem Immergrün, Regenwürmern und Hauswurz erstellt. Erstklässlern wurden Triebe über den Kopf gestrichen und gesagt: „Geh zu und lerne was!“ Insofern interessant, da das in beiden Pflanzen vorkommende Alkaloid Vincamin unter anderem den Hirnstoffwechsel günstig beeinflusst. Durch weitere giftige Inhaltsstoffe werden heute das Kleine und Große Immergrün nur für Vincaminpräparate und in der Homöopathie genutzt.

Medizinisch bedeutend ist das aus Madagaskar stammende „Rosafarbene Zimmerimmergrün“. Früher hieß es Vinca rosea, wurde aber durch fehlende botanische Übereinstimmungen in eine andere Gattung innerhalb der Familie geordnet und heißt nun Catharanthus roseus. Vor der Umbenennung wurden sehr bedeutsame Alkaloide wie Vincristin und Vinblastin entdeckt, die in der Krebstherapie vor allem bei Leukämie und Lymphomen als Mitosehemmer eine bedeutende Rolle spielen. Diese weisen noch auf den alten Gattungsnamen und die „siegreichen“ Vincaalkaloide hin.

 

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zuletzt bearbeitet am 29.III.2018