21.April 2011
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Der Propsteierwald in Eschweiler: Das Erwachen aus dem Dornröschenschlaf.
Eberhard Büttgen
„Da wuchs die Hecke riesengroß …“ heißt es in dem alten Kinderlied zum gleichnamigen Märchen „Dornröschen“ der Gebrüder Grimm. Es erzählt die Geschichte der verwunschenen Königstochter, die zu guter Letzt aus ihrem 100-jährigen Schlaf erweckt wird. Ähnliches könnte nun auch einer unbekannten „Schönheit“ wiederfahren, die seit nunmehr 60 Jahren überwiegend im Verborgenen weilt. Gemeint ist kein übersehenes Werk eines berühmten Malers, sondern ein Stück vergessener Natur am Rande von Eschweiler. Ein verkannt großer Wald, den nur wenige Menschen bisher in seiner vollen Ausdehnung erkunden durften.
Dieser Wald, der oft in meiner Kindheit sonntäglich im Familienausflug umrundet wurde, hat meine Erinnerungen mit seinen verlockenden Angeboten an Abenteuern und Naturbeobachtungen, wenn auch nur im zugänglichen Randbereich, geprägt. Heute darf ich auch die andere Seite des Waldes kennenlernen. Die, die jenseits des mannhohen Zaunes liegt.
Seine Reize, die manchmal schroff und zuweilen mysteriös aber durchweg ehrlich erscheinen, zeigt er aber nicht auf den ersten Blick. Vom Leben gezeichnet und oftmals nicht pfleglich behandelt - was auch manchem unbedachten Zeitgenossen zuzuschreiben ist - offenbart er sich aber dem naturverbundenen Leisetreter unverhohlen und mit voller Pracht.
Der Propsteierwald, der einst große Flächen bedeckte und bereits in der Jungsteinzeit zumindest zeitweise und später in der Römerzeit besiedelt war, hat eine lange und aufregende Geschichte hinter sich mit Spuren, deren Bedeutung selten direkt ersichtlich ist. Am Ende einer langen Ära bergbaulicher Tätigkeit auf Steinkohle, Eisen-, Zink- und Bleierz und der Prägung durch den EBV, der über Jahrzehnte das Holz für seine Gruben nutzte, kam die militärische Besatzung durch das Camp Astrid, die im Grunde bis heute andauert.
Wuchernde Farne und Sträucher
Und das, obwohl die belgischen Soldaten bereits von 16 Jahren das „Feld“ verließen. Abgezäunt konnte die Natur sich einen Teil ihrer geraubten Pfründe zurückerobern. Mit wilden Brombeeren, Adlerfarn und dichtem Strauchwerk hat sie viele der zurückgelassenen Gebäude im Wald, in denen einst Munition gelagert wurde, und so manchen Weg überwuchert. So kann man oft nur erahnen, was dort unter sattem Grün verborgen steckt.
Auf meinen „erlaubten“ Wanderungen durch diesen gesperrten Wald habe ich oft an meinen Großvater gedacht, der einst als Forstwirt hier im Dienste des EBV ein zufriedenes aber hartes Arbeitsleben in der Natur erleben durfte. Die benachbarte Industrie in Eschweiler und Stolberg, in der mein Großvater als junger Bursche seinen ersten Beruf erlernte, hat auch die Natur geprägt. Neben den Emissionen aus den Schloten der Hüttenbetriebe und Walzwerke, die in den Hochzeiten der Industrie im 19. Jahrhundert schwere Schäden an der Vegetation hinterließen, ist es vor allem aber das Abraum- und Schlackenmaterial, das den Boden des Waldes in Teilen prägt.
Was im ersten Moment negativ klingt, ist aber in Wahrheit für manche Art im Pflanzenreich eine wahre Wonne. Neben dem für die Region um Stolberg typischen Galmeiveilchen, einer gelbblühenden Spezies der Metallophyten, finden wir gehäuft auch den Taubenkropf, auch als Leimkraut bekannt, die Grasnelke oder den Schafschwingel. All diese Pflanzenarten sind schwermetalltolerant und finden auf derart belasteten Böden ihre Nische, da hier ihre starken Konkurrenten keine Überlebenschance haben. In guter Nachbarschaft gesellt sich zudem das rosa-lila blühende Knabenkraut, das bevorzugt auf staunassem, sumpfigem und kalkhaltigem Boden wächst.
Eine Besonderheit dieses Waldes aber sind die alten Buchen- und Eichenwaldbestände, in denen seltene Spechtarten ihren Lebensraum gefunden haben. Diese mancherorts von stattlichen, undurchdringbaren Stechpalmen umschlungenen Baumriesen haben ihre Lebensberechtigung vielleicht alleine der Tatsache zu verdanken, dass sie in Kriegszeiten von Munitions- und Granatsplittern getroffen wurden, die jeder Säge mächtig auf den Zahn fühlen würden.
Der lange Zeit intensiv genutzte Wald, der nach verheerenden Bränden im Sommer 1947 großflächig mit schnellwachsenden, aber ansonsten standortfremden Fichten, Kiefern und Lärchen aufgeforstet wurde, darf nun vielleicht auf bessere Zeiten hoffen. Ein Umbau des Waldes zum extensiv bewirtschafteten Mischwald, der Lebensraum für viele Pflanzen- und Tierarten sowie Naherholung für die Menschen bieten soll, kann zugleich wirtschaftlich gesünder dastehen als eine sturm- und parasitenanfällige Monokultur. Diese Aufgabe haben sich Bürger der Stadt Eschweiler zusammen mit ihren Stadtvätern auf die Fahnen geschrieben, die eine Waldgenossenschaft gründen und den Propsteierwald zu ihrem Wald in Bürgerhand machen wollen.
Den Gemeinsinn stärken
Eine Renaissance der Geschichte, in der bereits über Jahrhunde hinweg Bauern wie Adlige ein „freies Eigentum“ im Propsteierwald besaßen, der unter der fachlichen Hand der Mannkammer Aldenhoven nachhaltig bewirtschaftet wurde. Neben den alten Rechten der Viehweide und der Schweinemast im Wald, die heute nur den Wildschweinen ermöglicht werden darf, sollen aber Bezug von Brennholz und eine Beteiligung am Erlös der Genossenschaft den Gemeinsinn und die Selbstförderung der Bürger stärken. Ganz nach dem Motto von Raiffeisen: „Das Geld des Dorfes dem Dorfe.“ …und zum Schutz von Natur und Heimat.
zuletzt bearbeitet am 3.VI.2011