23.Juni 2011
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Woher weiß das Johanniskraut, wann Johanni ist? Zeitmessung von Pflanzen.
Joachim Schmitz
Viele Pflanzen tragen schon eine Zeitangabe im Namen, vom Märzenbecher über die Osterglocke, dem Maiglöckchen und der Pfingstnelke bis zum Johanniskraut. Besonders in der Landwirtschaft haben sich die Menschen schon immer im Kalender an den Pflanzen orientiert, aber wie funktioniert das eigentlich? Bei Frühblühern geht es ausschließlich nach der so genannten Wärmesumme. Das heißt es liegt einfach daran, wie der Wetterverlauf im Frühjahr ist. Bei vielen warmen Tagen blühen die Pflanzen früher, in kalten Frühjahren später. Deshalb kann die Blütezeit von solchen Pflanzen von Jahr zu Jahr sehr schwanken.
Beginn der Heuernte
Später im Jahr sind die Blühzeiten genauer festgelegt. Zum Beispiel hat das Tüpfel-Johanniskraut (Hypericum perforatum) seinen Namen davon, dass es am 24. Juni, dem Tag Johannes des Täufers, voll in Blüte steht. Neben der religiösen und der mystischen Bedeutung nahe der Sommersonnenwende war die Johanniskrautblüte für die Bauern eine wichtige Zeitmarke, die den Beginn der Heuernte anzeigte. Aber woher weiß das Johanniskraut, wann es zu blühen hat?
Tatsächlich können Pflanzen die Tageslänge messen. Dafür besitzen sie einen Farbstoff, der sich bei Tageslicht verändert und die Produktion von Pflanzenhormonen auslöst. Dieser Phytochrom genannte Stoff kann Licht aufnehmen, die aufgenommene Energie bewirkt eine chemische Umlagerung der Molekülstruktur. Das Phytochrom ist nun im aktiven Zustand. Bei Dunkelheit fällt das Phytochrom wieder in den ursprünglichen, inaktiven Zustand zurück. Dabei kommt es nicht auf die Menge des Lichts an.
Das System funktioniert bei jedem Wetter und auch im Schatten. Je länger der Tag dauert, umso länger bleibt das Phytochrom aktiv und die entsprechenden Pflanzenhormone reichern sich an. Dementsprechend dauert es auch länger, bis in der Nacht wieder alles in den Grundzustand zurück verwandelt ist. Wird eine kritische Tageslänge über- oder unterschritten, wird die Pflanze zur Bildung der Blüte umgestimmt. Bis auch die ersten Blütenknospen zu erkennen sind, kann es allerdings noch eine Weile dauern. Äußerlich ist die Auslösung der Blüte einer Pflanze nicht anzusehen.
Aus Versuchen weiß man, dass zur Aktivierung nicht das ganze Sonnenspektrum nötig ist. Es braucht nur Licht von hellroter Farbe. Außerdem bewirkt die Bestrahlung mit tiefdunkelrotem Licht einen viel schnelleren Rückfall in den inaktiven Zustand als bei Dunkelheit. Deshalb wird das Phytochrom-System auch als Hellrot-Dunkelrot-System bezeichnet. Weiter hat man herausgefunden, dass die Umstimmung einer Pflanze eine Zeit lang auch durch Störlicht wieder aufgehoben werden kann.
Das hat erhebliche Auswirkungen für den Gartenbau. Haben Sie sich schon mal gefragt, wie es die Gärtner schaffen, dass Weihnachtssterne immer pünktlich zu Weihnachten blühen? Weihnachtssterne sind so genannte Kurztagpflanzen. Das bedeutet die Blüte wird ausgelöst, wenn die Tageslänge eine bestimmte Dauer unterschreitet bzw. die Nacht eine Mindestdauer überschreitet. Dafür werden Weihnachtssterne schon ab August in verdunkelbaren Gewächshäusern gezogen, in denen den Pflanzen ein Kurztag vorgegaukelt wird. Will man zu Hause Weihnachtssterne zur Blüte bringen, muss man dafür sorgen, dass die Pflanzen absolute „Nachtruhe“ haben. In unseren Wohnungen brennt aber immer irgendwo Licht oder es kommt von der Straße herein, und fast alles Kunstlicht hat auch einen Anteil Hellrot. In jedem Fall bewirkt das die Aufhebung der Blütenbildung. So kommt die Pflanze gar nicht mehr zur Blüte. Zu den Kurztagpflanzen gehören auch viele Herbstblüher. So galten früher Chrysanthemen als klassische Friedhofsblumen für den Grabschmuck an den stillen Feiertagen im November. Heute sind Chrysanthemen ganzjährig im Blumenhandel zu finden, was auch nur durch die Kultur in Gewächshäusern mit steuerbarer Verdunkelung möglich ist.
Das Gegenteil von Kurztagpflanzen sind Langtagpflanzen, die zur Blüte eine bestimmte Mindesttageslänge brauchen. Hier kann man die Blüteninduktion nur experimentell durch Dunkelrotbeleuchtung unterdrücken. Normales Licht stört hier nicht. Natürlich gehören viele Sommerblüher hierzu, darunter auch einige Getreidearten wie Roggen, Weizen, Gerste und Hafer.
Evolutionstheorie
Bleibt noch die Frage, warum die Pflanzen so einen Aufwand treiben, um nur zu einem bestimmten Zeitpunkt zu blühen. Die Antwort darauf gibt die Evolutionstheorie: Die unterschiedliche Blütezeit nahe verwandter Arten verhindert eine Kreuzbestäubung und damit eine Vermischung bestehender Arten. Solche Hybriden wären unfruchtbar, könnten nicht zur Verbreitung der Art beitragen und würden nur unnötig Ressourcen und Energie verschwenden, die eigentlich zur Vermehrung der Art gebraucht werden. Das nennt man in der Evolutionstheorie einen Isolationsmechanismus.
zuletzt bearbeitet am 8.VIII.2011