18.April 2013

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Früher in einer sonnigen Ecke des Gartens gezogen: der Bauerntabak

Karl Josef Strank

Unter den Utensilien meines Opas fiel mir als kleiner Junge ein Gerät auf, das schon länger außer Gebrauch war, Patina angesetzt hatte und wie ein kleines, mit einem Griff geführtes Fallbeil aussah, dem auf einer halbrunden Schiene Material zugeführt und geschnitten wurde. Ich habe lange nachgedacht, wozu dieses Gerät gebraucht wurde, bis mir aufging: das ist ein Tabakschneider. Sehr plausibel, denn mein Opa hat bis ins hohe Alter geraucht und wir Kinder durften des öfteren Zigarren für ihn holen. In früheren Zeiten hat er – wie andere Raucher auch – den Tabak selber geschnitten und das kleine Fallbeil war blank und scharf.

Früher haben viele Leute Tabak in einer sonnigen und warmen Ecke des Gartens gezogen, vor allem in Notzeiten, wenn Rauchwaren nicht zu kaufen oder unerschwinglich teuer waren. Einige erinnern sich noch an den Schwarzmarkt, als Zigaretten den Wert einer Währung hatten.

Bis zur Entdeckung Amerikas kannten Europa und die Alte Welt keinen Tabak. Die Indianer rauchten ihn nur bei kultischen Handlungen. Der Eindruck ist falsch, wenn sie in Beschreibungen oder Filmen auf Bären- oder Büffelfellen hockend bei jeder Gelegenheit rauchend dargestellt werden. Erst die Europäer entdeckten und gebrauchten den Tabak als tägliches Genussmittel. Entsprechend hoch ist heute der Konsum und Tabak wird in fast allen Ländern der Erde angebaut – auch in Deutschland sogar mit Hilfe von EU-Subventionen.

Die „Botschafterpflanze“

Der französische Gesandte Jean Nicot de Villemain (1530-1600) schickte 1560 aus Lissabon Tabakpflanzen nach Frankreich und propagierte ihn als Heilpflanze. Man bezeichnete ihn bald als „Botschafterpflanze“ oder „Pflanze des Herrn Nicot“. Diese Bezeichnung griff Linné auf und nannte dann später die gesamte Gattung „Nicotiana“.

Weit verbreitet in Amerika von den Anden bis in den Norden des Kontinents und bei den Indianern in Gebrauch war der Bauerntabak (Nicotiana rustica). Wirtschaftlich wichtiger ist der Echte oder Virginische Tabak (Nicotiana tabacum). Letzterer ist feiner als der Bauerntabak, der einen herberen, kratzigeren Geschmack hat und einen erheblich höheren Nikotingehalt aufweist. Gegenüber dem übermannshohen Echten Tabak erreicht der Bauerntabak nur eine Höhe von 1,20 Metern. Die trichterförmigen, rundlichen, gelbgrünen Blüten sind kleiner als die zumeist rosafarbenen des Echten Tabaks und deutlich zahlreicher als bei diesem. Bei beiden stehen sie in rispiger Anordnung.

Tabak ist eine einjährige, äußerst problemlose Pflanze, die sehr leicht und zahlreich keimt. Das Nikotin schützt sie vor Schädlingen, selbst Schnecken meiden sie völlig. Die Aussaat erfolgt Ende April und ins Freiland wird sie erst nach den Eisheiligen verpflanzt, denn Tabak ist frostempfindlich. Der Nikotingehalt der Blätter schwankt sehr. Echter Tabak enthält bis zu vier Prozent, Bauerntabak bis zu acht Prozent Nikotin in den frischen Blättern. Hat die Pflanze zehn bis zwölf Blätter gebildet, wird sie entspitzt und falls nötig ausgegeizt, damit die vorhandenen Blätter größer werden. Die geernteten Blätter werden auf Schnüre gezogen und vier bis sechs Wochen ohne direkte Sonne, aufgehängt in einem luftigen Schuppen, getrocknet. Danach werden die Blätter in Stapeln von 25 bis 30 übereinander gelegt, mit Steinen beschwert und vier bis sechs Wochen einer Fermentierung (Gärung) unterzogen. Die Temperatur in den Blätterstapeln darf während der Fermentierung 40°C nicht überschreiten. Danach haben die Blätter eine hellbraune bis gelbe Farbe, werden nochmals getrocknet, entrippt und können danach je nach Verwendung geschnitten werden.

Bauerntabak hatte nie die Bedeutung wie der feine Virginische Tabak, wurde aber in Russland als Rauchtabak in großem Stil angebaut, wo er als „Machorka“ bezeichnet wird. Dieser Name erinnert sehr an „starkes Kraut“, was Tabak in der Tat ist. Die alkaloide Droge Nikotin ist nicht das vorrangige Problem, sie wird im Rauch stark verdünnt inhaliert, viel schädlicher sind die Stoffe des Rauchkondensats von Formaldehyd, Pyridin, Anilin bis hin zu Benzo(a)pyren, allesamt blutgiftig bis hoch krebserregend. Nikotin wirkt als Nervengift, alle Insekten im Garten – nützliche wie schädliche – fallen vom Stängel. Daher wurde früher Nikotinbrühe zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Aber Vorsicht: Nikotin wird durch die Haut aufgenommen. Es besteht die Gefahr der Selbstvergiftung: Die tödliche Dosis für Erwachsene liegt bei 30-40 Milligramm. Chemisch nachgebaute Neonikotinoide stehen im Verdacht das massenhafte Bienensterben zu verursachen, verboten hat die EU sie bis heute dennoch nicht.

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zuletzt bearbeitet am 4.IV.2013