16.Mai 2013
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Buschwindröschen im Klauserwald und andere Überlebenskünstler
Karl Josef Strank
Idealerweise gliedert sich ein Laubmischwald der gemäßigten Klimazone in vertikaler Stufung in eine Krautschicht, eine Strauchschicht und eine Baumschicht. Im Frühjahr haben die Pflanzen der Krautschicht ihre hohe Zeit. Sie nutzen das schmale Zeitfenster, wenn noch genügend Licht zum Boden dringt, um in kürzester Zeit ihren gesamten Jahreszyklus mit Austrieb der Blätter, Blüten und Früchte abzuschließen. Treiben im Laufe des Mai auch die letzten Bäume aus, schließt sich das Blätterdach und die Krautschicht der Wälder wird zum Schattenreich, in dem es noch genügend andere Pflanzen gibt, die mit diesen Bedingungen zurecht kommen und dann zur Hochform auflaufen.Alles gespeichert
Die Frühjahrsblüher haben sich zu diesem Zeitpunkt schon lange wieder in den Boden zurückgezogen, überdauern mit ihren Speicherorganen, in denen die Nährstoffe der kurzen Saison eingelagert sind, den Rest des Jahres und den Winter, um dann im nächsten Frühjahr erneut als erste unter Mobilisation der eingelagerten Nährstoffe das Rennen um Licht mit Austrieb, Blüte und Frucht zu starten. Ein interessanter Aspekt dieser Pflanzen, die auch als „Geophyt“ (Pflanze, die mit ihren Erneuerungsknospen in der Erde überdauert) bezeichnet werden, ist es, dass sie eine Reihe von Möglichkeiten entwickelt haben, die Nährstoffe in speziellen Speichergeweben von Blättern, Sprossen oder Wurzeln einzulagern, die dann Rhizome, Rüben, Knollen, Zwiebeln genannt werden. Schneeglöckchen und Winterling, die lange verblüht sind, gehören in diese Kategorie und zwei nah verwandte Arten, die jetzt im Wald anzutreffen sind, das Buschwindröschen (Anemone nemorosa) und das Gelbe Windröschen (Anemone ranunculoides). Beide haben einen Stängel, an dem auf gleicher Höhe (quirlig oder wirtelig) drei dreiteilige, tief eingeschnittene Hochblätter stehen.
Beim Buschwindröschen entspringen daraus eine gestielte weiße Blüte, beim Gelben Windröschen eine bis drei (meist zwei) gestielte gelbe Blüten. Das Buschwindröschen ist eine Charakterart unserer Buchen- und sommergrünen Eichenwälder. Es bevorzugt frische bis feuchte, nährstoffreiche, tiefgründige, lehmige Böden und tritt in großen Massen auf. Das gelbe Windröschen ist ökologisch etwas anspruchsvoller, beide Arten kommen aber auch zusammen vor, so im Klauserwald bei Kornelimünster, der gerade jetzt im Frühling einen Spaziergang lohnt.
Beide Anemonen sind in allen Teilen giftig, was aber nicht weiter schlimm ist, denn für gewöhnlich sammelt keiner trotz des Massenvorkommens aus ihnen Blumensträuße, weil die Pflanzen so klein, fein und hinfällig sind und auch, wenn das gelbe Windröschen einem Hahnenfuß oder einer Butterblume daher der Artname ähnlich sieht, wird keiner auf die Idee kommen, 30 Pflanzen davon zu verzehren, denn das wäre die tödliche Dosis.
Lerchensporn
Ebenfalls um diese Jahreszeit sind in unseren Wäldern zwei Arten von Lerchensporn zu finden. Der eine ist der Hohle Lerchensporn (Corydalis cava), mit Bezug auf die hohle Knolle dieser Art und der andere ist der Gefingerte Lerchensporn (Corydalis solida), mit Bezug auf die gefingerten Hochblätter, die unterhalb der Blüten sitzen. Der botanische Artname solida bezieht sich auf die „feste“, das heißt nicht hohle Knolle dieser Art. Da man als Botaniker nicht gleich die Pflanze ausgräbt, die Knolle zerschneidet, um nachzusehen, ob sie fest oder hohl ist, baut man zur Unterscheidung beider Arten eine Eselsbrücke über die Hochblätter der Blütentraube, denn die sind gut sichtbar gefingert oder ganzrandig. Je älter man wird und je mehr Eselsbrücken man gebaut hat, umso schwieriger wird es aber, sie auf Dauer auseinander zu halten und sich zu merken, ob sie nun gleichsinnig oder gegensinnig zu verstehen sind. Deshalb passt dann die hohle Knolle zu den ganzrandigen Hochblättern und die solide, feste Knolle zu den gefingerten Hochblättern (was richtig ist!) oder umgekehrt (?), wenn man sich bei den vielen Eselsbrücken im Laufe der Jahre nicht mehr ganz sicher ist.
Die Samen der gelben Anemone und der Lerchensporne verfügen über ein saftiges, nährstoffreiches Anhängsel, das sie für Ameisen attraktiv macht. Diese schleppen die Samen in ihr Nest und verfrachten sie nach der Ernte des Ameisenbrotes aus ihrem Bau, was sehr zur Verbreitung dieser Pflanzen beiträgt. Sind daher Lerchensporn und Windröschen erst einmal im Garten, finden sie sich bald dank der Ameisen auch an Stellen, wo sie keiner nie hingepflanzt hat.
zuletzt bearbeitet am 22.VII.2013