9.Jan.2014

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Jetzt ist die Zeit, die sonst verborgenen Schönheiten der Natur zu erleben

Ruth Gestrich-Schmitz

Vögel zwitschern, als ob es bereits Frühling wäre, Löwenzahnblüten strecken ihre Köpfe heraus, weiße Taubnesseln am Wegesrand blühen schon, Gänseblümchen schauen vorwitzig aus dem Gras, die Blütenstände der Haselnuss bewegen sich im Wind, alles etwas ungewohnt bei einem Spaziergang zu dieser Jahreszeit. Auch wenn der Winter mit seiner weißen Schneepracht noch auf sich warten lässt, offenbart die Natur jetzt vieles, was man vor dem Laubfall nicht oder nur schwer erkennen kann.

Ein Blick in die blattlosen Bäume lohnt sich: Wenn man mit offenen Augen durch die Landschaft geht, kann man Vögel, oft Meisen, beobachten, die den Baumstamm und die Äste entlanglaufen und nach Nahrung suchen. Vogelnester sitzen jetzt nicht im Verborgenen, sie fallen von weitem ins Auge. Und sitzen sie nicht zu hoch im Baum, lassen sie ihr Baumaterial erkennen, an Hand dessen sich der Erbauer benennen lässt: Drosseln kleiden zum Beispiel ihr Nest mit Lehm aus. Neben natürlichen Materialien findet man heutzutage beispielsweise entlang der Autobahn Nester, in die zum Teil Zivilisationsabfälle wie Plastikfolien mit eingebaut sind.

An manchen Bäumen hängen noch die Früchte: Ganze Büschel von Eschen- und Ahornsamen warten darauf, von den Ästen zu fallen und im Frühjahr im Boden zu neuem Leben zu erwachen. Platanen und Amberbäume in Parks und Alleen machen mit ihren kugeligen Früchten, die wie Weihnachtsbaumkugeln an den Ästen hängen, auf sich aufmerksam. Vereinzelt sieht man Apfelbäume, deren in der Wintersonne glänzende rotbackige Äpfel nicht abgeerntet wurden und die Wind und Wetter nicht zum Herabfallen bewegen konnten. Orange-gelbe Früchte des Sanddorns, rote Früchte an Stechpalmen und blau-schwarze Früchte im Efeu locken Vögel zu einer leckeren Mahlzeit an. Besonders flauschig muten die Fruchtstände der Gewöhnlichen Waldrebe an, die manchmal komplette Sträucher überwuchern und von weitem aussehen, als läge Raureif oder eine dünne Schneedecke über den Sträuchern.

Im Winter kann man die Wuchsform eines Baumes, auch von weitem, sehr gut erkennen. Die Form der Zweige, die Struktur und Farbe der Rinde, die Form und Farbe und der Sitz der Knospen an den Zweigen geben Hinweise darauf, um welchen Baum es sich handelt. Ganz einfach ist die Platane zu erkennen mit ihrem Mosaik aus heller und dunkler Borke. Die Rinde des Amberbaums weist am älteren Holz Korkleisten auf. Streicht man über die Rinde einer Rotbuche, fühlt sie sich im Gegensatz dazu glatt an. Damit im Frühling die Bäume wieder schnell mit dem Wachsen und Blühen beginnen können, werden im Herbst Winterknospen angelegt, die zum Schutz vor Kälte und Nässe von einer Schuppenschicht umgeben beziehungsweise behaart sind. Spitzahorn, Apfel und Winterlinde bilden rötliche Knospen aus, Zitterpappel, Flatterulme und Rotbuche sehr spitze und lange Knospen. Wie mit einem Pelzmantel umhüllt präsentieren sich die Knospen der Magnolie vor dem Aachener Dom.

In der kalten Jahreszeit wird der Bewuchs der Bäume mit Moosen und Flechten, besonders an der Wetterseite, deutlich. Baumpilze wie Schwämme und Porlinge fallen ins Auge. Efeu schlängelt sich am Stamm mancher Bäume hinauf. Nach einigen Jahren kann man den Baumstamm unter den sich um ihn windenden verholzten Efeuranken nicht mehr ausfindig machen. Ist der Efeubewuchs weit fortgeschritten, hängen Efeutriebe oft wie Lianen meterweit von den Baumästen herab. Besonders auffällig sind im Winter die Bäume mit Mistelbewuchs. Manchmal wachsen so viele dieser wintergrünen, kugelig geformten Halbschmarotzer in den Bäumen, dass von den Ästen und Zweigen nichts mehr zu sehen ist.  

 
Auffällig: die Bäume mit Mistelbewuchs.
Foto: R. Gestrich-Schmitz

Bevor demnächst vielleicht der Schnee die Winterlandschaft überzieht, kann man als aufmerksamer Beobachter auch jetzt schon die sonst verborgenen Schönheiten der Natur erleben.

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zuletzt bearbeitet am 13.IV.2014