26.Juni 2014
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
B 258:Wie der Siebenstern zur Symbolpflanze des Hohen Venns wurde
Joachim Schmitz
Die meisten Blüten gehorchen einer strengen Zahlenordnung. Besonders Kronblätter und Staubgefäße kommen häufig zu drei, vier, fünf oder dem Doppelten (ganz selten auch mal dem Dreifachen) davon vor. In altertümlichen Pflanzenfamilien wie Magnolien, Seerosen oder Hahnenfußgewächsen gibt es die Blütenorgane auch noch in unbestimmter Vielzahl. Bei vielen Zierpflanzen hat der Mensch durch Züchtung die Zahl der Kronblätter nachträglich wieder vermehrt, so dass in den „gefüllten“ Blüten wieder unbestimmt viele Kronblätter vorhanden sind. Zum Beispiel unterliegen wilde Rosen und Nelken einer strengen Fünfer-Symmetrie. Völlig ungewöhnlich dagegen ist der Siebenstern, der in der Regel alle Blütenorgane siebenfach besitzt: also einen Fruchtknoten aus sieben verwachsenen Fruchtblättern, dann sieben Staubblätter, sieben Kronblätter, sieben Kelchblätter; und um das Maß voll zu machen, ist darunter auch noch ein Quirl von meistens auch sieben grünen Hochblättern. Die Art gehört übrigens zu den Primelgewächsen, bei denen eigentlich die Grundzahl fünf typisch ist.
Zwischen Konzen und Fringshaus führt die B 258 über belgisches Staatsgebiet mitten durchs Venn. Hier kann man mehrfach die belgischen Tafeln sehen, die das Gebiet links und rechts der Straße als Naturschutzgebiet kennzeichnen. Darauf ist eine stilisierte Pflanze mit Blüten aus sieben weißen Kronblättern zu sehen, also unverkennbar ein Siebenstern. Das mag vielleicht etwas überraschen; zu Hohem Venn und Hochmoor würden einem wohl zuerst der fleischfressende Sonnentau oder spektakuläre Blütenpflanzen wie Beinbrech oder Lungen-Enzian einfallen. Aber die Belgier haben einen triftigen Grund, den Siebenstern zur Symbolblume des Hohen Venns zu machen.
Weltweit gibt es drei Arten von Siebenstern, die alle zirkumpolar, also um den nördlichen Polarkreis herum, verbreitet sind, zwei davon in Amerika, dazu in Eurasien unseren Europäischen Siebenstern (Trientalis europaea). Ob die Arten sich erst im Zuge der Eiszeit aufgespalten haben oder schon vorher vorhanden waren, ist unklar. Auf jeden Fall ist der Europäische Siebenstern in der Eiszeit vom wachsenden Skandinavien-Gletscher weit nach Süden vertrieben worden. Seine Heimat waren Nadelwälder und Zwergstrauchheiden in Nordosteuropa und Nordasien. Nach der Eiszeit hat sich der Siebenstern wieder nach Nordosten zurückgezogen. Dieses Verbreitungsmuster nennt man boreal, nach Boreas, dem kalten Nordwind aus der griechischen Mythologie. Nach der Eiszeit sind die borealen Arten nach Nordosten zurückgewandert oder haben sich nur auf mikroklimatischen Inseln halten können. Die westlichste dieser Inseln ist das Hohe Venn. In Belgien ist das Hohe Venn das einzige Gebiet, in dem der Siebenstern vorkommt. Deshalb ist die Art in Belgien auch zur Symbolpflanze des Hohen Venns geworden.
Die Zahl sieben hat in der Zahlenmystik schon immer eine große Rolle gespielt. Gott hat die Erde in sieben Tagen geschaffen. In der jüdischen Liturgie hat der Kerzenleuchter sieben Arme. Es gibt sieben Todsünden und Schneewittchen hatte sieben Zwerge. Diese Reihe ließe sich noch endlos fortsetzen. Umso erstaunlicher ist, dass der Siebenstern trotz der sehr aufgeladenen Bedeutung der Zahl sieben weder als Zauber- noch als Heilpflanze irgendeine Bedeutung erlangt hat. Das einzige, was man in der Literatur findet, ist ein Hinweis, dass die Art in der Volksmedizin als Brechmittel benutzt wurde. Und das ist ja auch nicht so besonders sexy für eine Art, bei der die Siebenzähligkeit eigentlich als Glückssymbol gelten sollte. Über den Grund kann man nur spekulieren. Am wahrscheinlichsten ist, dass die ganze Zahlenmystik aus dem arabischen Raum und der griechisch-römischen Antike stammt, und das eben in den nördlichen Ländern, in denen der Siebenstern hauptsächlich vorkommt, nicht bekannt war.
zuletzt bearbeitet am 3.VII.2014