10.Juli 2014
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Gräser sind etwas Besonderes. Sie sind ganz und gar basis-orientiert.
Karl Josef Strank
Gräser werden im Garten für gewöhnlich wenig verwendet, als Unkräuter abgetan, bestenfalls als den Rasen aufbauende Pflanzen beachtet. Dabei ist das Einjährige Rispengras praktisch weltweit verbreitet und unausrottbar, weil es mit seinen Samen in allen Böden reichlich vorkommt und bei jeder Gelegenheit keimt. Gar gefürchtet ist die Quecke, die sich mit ihren unterirdischen Trieben breit macht und nur durch Ausgraben richtig entfernt werden kann.
Gräser wachsen von der Basis
Grundsätzlich zeichnen sich Gräser durch ihr einzigartiges Wuchsverhalten aus, dass sie nämlich nicht wie die meisten Pflanzen an ihrer Spitze wachsen und sich dort durch Knospen und Verzweigungen erneuern, sondern von der Basis her. Das ist der Grund, warum wir den Rasen immer wieder mähen können und er dennoch von unten nachwächst. Gräser dominieren unsere Wiesen und Weiden und die großen Steppen und Savannen der Erde. Sie sind die Nahrungsgrundlage für unser Vieh und die riesigen Herden der Grasfresser weltweit. Zu den Gräsern gehören aber auch für uns wichtige Nahrungspflanzen wie alle Sorten der Getreide, Mais, Hirse oder der Reis. Sie können auch strauch- bis baumförmigen Wuchs annehmen und verholzen wie die große Vielzahl der Bambusarten belegt. In der großen Gruppe der Gräser werden dann noch die Süßgräser von den Sauergräsern unterschieden. Süßgräser umfassen etwa 10 000 Arten, die Sauergräser (Riedgräser und Binsen) etwa 5000. Ihre Namen haben letztere daher, dass sie meist auf kalkfreien, sauren Böden wachsen, bevorzugt in Sümpfen und Mooren. Das gilt auch augenscheinlich für ein Gras, das auf weiten Flächen des Hohen Venns anzutreffen ist. Wenn der Sommer die Hochfläche austrocknet und der Herbst die Moorlandschaft in goldbraune Farben taucht, ist es das Pfeifengras Molinia caerulea, ein Süßgras, das diese Stimmung hervorzaubert.
Wissenschaftlich benannt ist es nach dem Jesuiten und Missionar Juan Ignatio Molina, geboren am 24. Juni 1740 in Talea, Chile, der 1782 eine Naturgeschichte Chiles verfasst hat. Interessanter ist der deutsche Namen Pfeifengras, denn dieser geht auf eine nützliche Eigenheit der Wuchsform dieses Süßgrases zurück. Der ganze Teil des oberen Halms ist knotenlos, dafür aber am Grund zwiebelartig angeschwollen.
So berichten denn verschiedene Quellen, dass „der lange, steife und knotenlose Halm für die Tabakraucher ein beliebtes Instrument ist, womit sie die durch den Tabaksaft verstopften Pfeifen zu reinigen pflegen.“ 1783 berichtet Linné-Houttuyn, dass Landleute die Halme nach dem Verblühen sammeln und sie in den Kaffee- und Bierschenken unter dem Namen Schmelen in ganzen Bündeln für wenig Geld feil bieten“. Diese Art organischer Pfeifenreiniger ist heute völlig außer Gebrauch, das Gras hat aber von dieser Verwendung her seinen Namen.
Streuwiesen im Hohen Venn
Auf den entwässerten Flächen des Hohen Venns hat sich das Pfeifengras weit ausgebreitet. Pfeifengraswiesen sind also als Degradations-(Abbau-)stadien entwässerter Torfmoore zu verstehen. Da sie sehr nährstoffarm sind und nicht gedüngt werden, eignen sie sich nicht zur Ernte von Viehfutter. Ertragsschwach und spät gemäht liefern sie überwiegend Einstreumaterial für die Viehställe. Daher werden sie auch als Streuwiesen bezeichnet. Durch die Aufgabe dieser Nutzungsform oder die Umwandlung in Intensivgrünland sind die Pfeifengraswiesen heute als betriebswirtschaftlich ineffektiver Bewirtschaftungstyp nährstoffarmer Wiesen dennoch in vielen Regionen aus der Landschaft verschwunden.
Echte Wertschätzung erfährt das Pfeifengras neuerdings unter Gartenfreunden. Gräser erinnern an die unberührte Natur. Sie vermitteln Leichtigkeit, Subtilität und eine Art von Eleganz, die sie zu idealen Begleitern für Stauden machen, die den modernen zeitgenössischen Garten kennzeichnen. Mehrere Sorten stehen heute zur Verfügung: M. caerulea ‚Karl Foerster‘ mit dunklen, offenen Blütenständen, wächst steif aufrecht, sieht im Herbst ausgesprochen schön aus, übersteht aber den Winter nicht. Bei M. caerulea ‚Transparent‘ wirken die offenen Blütenrispen besonders leicht. Dennoch ist es sehr robust und kann in der Rabatte gute Effekte erzielen.
zuletzt bearbeitet am 8.VIII.2014