30.April 2015

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Orchideen in den eigenen Garten holen: ein Experiment, das sich lohnt

N. N.

Nachdem die tropischen Orchideen als Wegwerfartikel Einzug in unsere Baumärkte gehalten haben, ist es vielleicht an der Zeit, den Blick wieder auf die heimische Flora zu richten. Auch in Deutschland wachsen zahlreiche Vertreter aus der Familie der Orchideen und einige von ihnen tragen ausgesprochen attraktive Blüten. Es ist daher sehr verlockend, sich solche floristischen Schätze in den eigenen Garten zu holen, aber die Sache ist juristisch und gärtnerisch nicht ganz trivial. Von der Entnahme aus der Natur ist dringend abzuraten. Zum einen stehen sämtliche Orchideen (auch die häufigen!) unter strengem Naturschutz, zum anderen bringt ihnen die Versetzung von ihrem Wuchsort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Tod. Die Ursache liegt in der besonders engen Verbindung der Orchideen mit symbiotischen Pilzen, der sogenannten Mykorrhiza. Es reicht also nicht, die vegetativen Pflanzenteile umzusetzen, sondern der Mykorrhizapilz braucht auch noch geeignete Lebensbedingungen am neuen Ort. Pilze sind ungleich wählerischer als die meisten Pflanzenarten.

Trotzdem erobern züchterisch vermehrte Erdorchideen langsam die Gärtnereien und das auch noch zu vertretbaren Preisen. Der deutsche Botaniker Hans Burgeff hat schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die entscheidenden Zusammenhänge zwischen Orchideen und Pilz aufgedeckt und damit wesentlich zur Entwicklung der sogenannten "Flaschenkultur" beigetragen, die heute Grundlage fast aller züchterischen Bemühungen ist. Orchideensamen enthalten nur sehr geringe Mengen an Nährstoffen, die bereits kurz nach der Keimung aufgebraucht sind. Hat der Keimling bis dahin keinen Mykorrhizapartner gefunden, der ihn weiter versorgt, stirbt er mangels Nahrung ab. In der Zucht wird dieser kritische Moment überbrückt, indem man ein besonderes Substrat verwendet, das alle notwendigen Nährstoffe zur Verfügung stellt. Die Keimung muss in völliger Sterilität erfolgen, sonst werden die empfindlichen Keimlinge rasch von pathogenen Pilzen und Bakterien infiziert und verfaulen. Es gibt nur wenige spezialisierte Firmen, die sich auf diese anspruchsvolle Technik verstehen. Nach etwa einem Jahr besitzen die kleinen Orchideenpflänzchen ausreichend große Blätter, um auch im Freien zu gedeihen. Die Anzuchtfirmen verschicken dann ihre Minipflänzchen in Flaschen zu mehreren Dutzend bis Hundert Exemplaren direkt an die Orchideengärtnereien, wo sie in geeignete Erdsubstrate pikiert werden. Das ist der heikelste Schritt, denn nun muss sich die Orchidee über Photosynthese selber mit Nährstoffen versorgen, oder man braucht "angeimpfte" Substrate, die einen passenden Mykorrhizapilz zur Verfügung stellen. Beide Verfahren werden angewandt. Trotzdem sind die Ausfallraten mitunter hoch. Es ist auch bei weitem noch nicht gelungen, alle heimischen Orchideen auf diese Weise zu vermehren.

Zu den leicht kultivierbaren Orchideen gehört die Sumpfstendelwurz (Epipactis palustris), die im erwachsenen Zustand nicht mehr auf einen Pilz angewiesen ist. Der Standort kann frisch bis feucht sein, aber selbst auf relativ trockenen Böden habe ich Sumpfstendelwurz schon regelrecht wuchern sehen. Die perfekte Anfängerpflanze, wenn man Wildformen im Garten halten möchte. Eine sehr anspruchsvolle heimische Orchidee ist dagegen der Gelbe Frauenschuh (Cypripedium calceolus), von dem es einige etwas unempfindlichere Klone im Handel gibt. Sie werden vegetativ über Teilung der Wurzelstöcke vermehrt und sind entsprechend teuer. Der Frauenschuh braucht einen stets frischen Boden und gedeiht im lichten Schatten. Wo Farne gut wachsen, kann man einen Versuch wagen. Wüchsiger, unempfindlicher und blühfreudiger sind allerdings die Zuchthybriden mit anderen Cypripediumarten aus Nordamerika und Asien. Sorten wie "Cypripedium Gisela" oder auch die Epipactishybride "Sabine" sind sehr robust und großblütig und wenn man sie vor Schneckenfraß gut schützt (ein generelles Problem bei Orchideen), wachsen sie zu stattlichen Horsten heran. Die Auswahl an Formen und Farben ist bei den Hybriden mittlerweile erstaunlich groß und jedes Jahr kommen neue hinzu. Ein Experiment im eigenen Garten lohnt sich!

 

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zuletzt bearbeitet am 14.V.2015