10.Dez.2015
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Klein und doch die halbe Welt erobert: Der Zaunkönig kann sich anpassen
Karl Josef Strank
Der Zaunkönig ist leicht zu erkennen. Im Garten bemerkt man ihn, weil irgendetwas Kleines im Geäst von Bäumen und Büschen oder zwischen den Blumentöpfen umherwuselt. Der Eindruck ist sehr flüchtig, kaum bemerkt man ihn, ist er gleich wieder weg, doch sieht man ihn genau, fällt sofort der stets aufrechte Schwanz auf. Kleiner als der Zaunkönig sind bei uns nur die Goldhähnchen, die aber verbringen ihr gesamtes Leben in den Wipfeln von Nadelbäumen.
Der Zaunkönig ist häufig in Hausnähe, in Gärten und Parks anzutreffen. Im dichten Unterholz huscht er von Versteck zu Versteck. Wilde, unaufgeräumte Gärten, Gestrüpp, alte Schuppen und Gerümpel sind sein Königreich. Dieses verteidigt er vehement, denn er behauptet sein Revier Artgenossen gegenüber durch lautstarken Gesang, Eindringlinge verfolgt er mit lautem Gezeter.
Es verwundert immer wieder, wie lauthals dieser kleine Vogel mit kräftiger Stimme singt. Zu diesem Zweck verlässt er auch das schützende Dickicht und postiert sich auf gut sichtbaren Singwarten wie Mauern, Zäunen, Hecken, Pfosten und anderen exponierten Stellen. Sinn und Zweck dieser Übung ist es, Weibchen anzulocken und sie von sich und seinem Revier zu überzeugen.
So klein er ist, hat der Zaunkönig doch fast die halbe Welt erobert. Von Nordamerika, wo seine Verwandten bis in die Tropen mit mehreren Arten verbreitet sind, hat er sich über die Behringstraße westwärts auf weite Teile Asiens, Europas und Nordafrika ausgedehnt. Er hat sich als einziger seiner Sippschaft an das gemäßigte bis kühle Klima des Nordens angepasst, lediglich im Winter zieht er sich aus höheren Gebirgslagen in mildere und geschütztere Tallagen zurück. Da er als Standvogel ganzjährig bei uns weilt, ist sein Gesang auch im Winter zu hören, wenn andere Vögel schweigen.
Sein Körperbau, kompakt, runde Flügel, kleiner, kurzer, aufrechter Schwanz ist optimal angepasst an das Leben im dichten Gestrüpp. Sein feiner, leicht gekrümmter Pinzettenschnabel prädestiniert ihn, selbst in den kleinsten Fugen und Ritzen nach Insekten, Spinnen und Larven zu stöbern. Sein Nahrungsspektrum ist fast ausschließlich tierischer Natur.
Sein wissenschaftlicher Name Troglodytes bezeichnet ihn als Höhlenbewohner, was streng genommen nicht zutrifft. Er ist in verschiedenen Lebensräumen zuhause. Mit Vorliebe brütet er in unterholzreichen Wäldern und Feldgehölzen, in Gärten und Parks, die genügend Deckung bieten.
Auch an feuchteren Standorten entlang von Bächen und Gräben ist er regelmäßig zu finden. Als bodennaher Brüter achtet der Zaunkönig vor allem auf Sicherheit. Dichte Vegetation und künstliche Nischen, aber auch alte Briefkästen, Blumentöpfe, verlassene Schwalbennester und allerlei sonstige „heimliche“ Orte dienen zum Nestbau. Das ist die alleinige Aufgabe des Männchens. Zeitig im März beginnt der Bau des typischen Kugelnestes mit seitlichen Einschlupf. Seine Bauwut kennt keine Grenzen, denn er bietet dem Weibchen gleich mehrere Kugelnester zur Auswahl an. Wählt es eines der angebotenen Nester aus, erfolgt die Paarung. Die Auspolsterung des Nestes ist ihre Aufgabe.
Im April legt das Weibchen fünf bis acht weiße, rostbraun gefleckte Eier. Die „königlichen“ Rollen sind klar verteilt. Das Weibchen brütet und übernimmt auch die Fütterung der Jungen. Diese schlüpfen nach 14 bis 18 Tagen und verbringen noch weitere zehn bis 15 Tage im Nest. Während sich das Weibchen um den Nachwuchs kümmert, behauptet das Männchen sein Revier, baut fleißig neue Nester und versucht andere Weibchen in sein Reich zu locken.
Bekannt ist das Märchen der Brüder Grimm, das erzählt, wie der unbedeutende, kleine Vogel zu seinem Namen kam. Denn als die Vögel beschlossen hatten, denjenigen zu ihrem König zu machen, der am höchsten fliegt, versteckte er sich listig im Brustgefieder des Adlers und ließ sich mit in den Himmel tragen. Als dieser alle anderen hinter sich gelassen hatte und leicht ermattet zur Erde zurücksank, verließ der Kleine sein Versteck und stieg noch weiter in den Himmel. Er schrie: „Ich bin der König, ich bin der König!“ Die anderen nahmen ihn aber nicht ernst und, weil er immer im Dickicht umherhuscht und sich nur selten dem Volke zeigt, verspotten sie ihn seither als „Zaunkönig“.
zuletzt bearbeitet am 24.XII.2015