19.Mai 2016
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Sodom und Gomorra im Insektenhotel
N.N.
Jede Doku-Soap verblasst gegen das, was in einem durchschnittlichen Insektenhotel so alles vor sich geht. Mord und Vergewaltigung, Betrug, Hinterlist und Kindestötung, Intrigen und Zwangsräumungen. Und wenn man Glück hat, all das an einem einzigen Nachmittag und ohne Werbeunterbrechung. Was man dazu braucht? Ein geeignetes Insektenrefugium und etwas Geduld beim Beobachten der geflügelten Gäste.
Und da sind wir gleich beim ersten wichtigen Punkt: Die meisten kommerziellen „Insektenhotels“ sind nicht wirklich geeignet, denn sie kombinieren Behausungen für Insekten, die in völlig unterschiedlichen Biotopen leben. Angebohrte Holzstücke und hohle Bambusstäbe für wärmeliebende Solitärbienen und -wespen (also solche, die keine Staaten bilden), Kiefernzapfen für schattenbewohnende und feuchtigkeitsliebende Ohrwürmer, sowie „Hummelkästen“ von einer Größe, dass jede Hummel in den Streik tritt. Am Besten man schmeißt die Zapfen gleich auf den Kompost und modernisiert den freigewordenen Wohnraum durch weitere Angebote an die fleißigen Solitärbienen. Denken Sie an die Mietpreisbremse!
Die Wohnröhren müssen möglichst glatt sein, damit die Gäste später ihre Flügel nicht an Holzsplittern verletzen. Also neue, scharfe Bohrer in verschiedenen Größen zwischen 2 und 10 mm verwenden (besonders beliebt sind Löcher von 3 bis 6 mm) und die Lochränder mit Schmirgelpapier oder einer Rundfeile nachglätten. Ebenso bedeutsam ist es, dass die Wohnröhren nicht durchgebohrt werden, sondern am Ende verschlossen bleiben. Damit eine starke Nachfrage ihr Hotel auch wirtschaftlich macht, weiß jeder Makler, dass drei Dinge besonders wichtig sind: Die Lage, die Lage und die Lage. Ein idealer Standort ist vollsonnig, aber vor Regen geschützt. Das mögen die meisten der potenziellen Insektengäste. Ein Kaninchengitter im Abstand von zehn cm vor die Einfluglöcher gespannt verhindert übrigens Raubzüge durch Meisen und Spechte, die die Population eines ganzen Sommers in wenigen Minuten auslöschen können. Zu einer guten Wohnlage gehört allerdings auch eine blütenreiche Umgebung. Wenn Sie ihren Gästen eine Freude machen wollen, dann sorgen Sie dafür, dass vor allem im zeitigen Frühjahr und im „Sommerloch“ von Juli bis August genügend Futter zur Verfügung steht. Eine sichere Wasserstelle, z. B. ein Gartenteich oder eine Regentonne mit einem darin schwimmenden Korken als Landehilfe ist ebenfalls erforderlich. Im März ziehen die rotbepelzten Mauerbienen ein und von da an wird Ihr Hotel keinen Tag mehr unbewohnt sein. Wenn Sie sich nun etwas Zeit zum Beobachten nehmen, werden Sie ganz sicher Zeuge, wie Schwärme von männlichen Bienen vor den Eingängen patroullieren und jedes vorbeifliegende begattungsreife Weibchen überfallen, oder wie Individuen der gleichen Art sich gegenseitig die Brutröhren leerräumen oder parasitierende Wespen am Rand der Einfluglöcher auf der Lauer liegen, um ihre Eier in das Gelege ihrer Wirte zu schmuggeln. Später werden ihre Larven sowohl den Nachwuchs der Wirte umbringen als auch den Vorrat plündern, der eigentlich nicht für sie gedacht war. Manchmal legen gleich mehrere Parasiten ihre Eier in eine Brutkammer und dann entbrennen furchtbare Kämpfe auf Leben und Tod hinter den wächsernen Zimmertüren. Besonders hübsch sind übrigens die parasitischen Goldwespen mit ihren rot-blau-grün metallisch schimmernden Körpern. Sie gehören zu den ersten Mördern im Frühjahr und sorgen dafür, dass im nächsten Jahr nicht aus jeder Mauerbienenwohnung eine Mauerbiene kriecht.
Im Laufe der Jahre wird sich übrigens die Zusammensetzung ihrer Gästeschar verändern. Einige Insekten, wie die genannten Mauerbienen, ziehen nur in Neubauwohnungen ein, andere mögen lieber heruntergekommene Altbauten. Auch das Nahrungsangebot beeinflusst die Artenvielfalt. Etwa 30 Prozent der Solitärbienen sind extreme Nahrungsspezialisten und ohne ihre Futterpflanzen werden sie niemals bei Ihnen einziehen. Es gäbe noch so viel zu erzählen, aber die spannendsten Geschichten sind doch immer die, die man selber herausgefunden hat. Lassen Sie sich Zeit damit!
zuletzt bearbeitet am 17.VII.2016