27. Juli 2017
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Eine Pflanze fürs Wohlbefinden und die Wettervorhersage: die Königskerze
Ruth Gestrich-Schmitz
Majestätisch wirkt ihr Blütenstand mit den leuchtend gelben Blüten: Die Königskerze liebt die Sonne und strahlt uns schon von weitem entgegen. Wie Riesenkandelaber sehen manchmal die bis zu zwei Meter hohen Blütenstiele aus. An sonnigen Wegrändern, Waldlichtungen, Bahndämmen, auf Brachland und steinigem Gelände ist sie anzutreffen, sogar in den Ritzen der Pflastersteine vor unserem Garagentor.
Die Pflanzengattung der Königskerzen (Verbascum) mit ihren etwa dreihundert Arten gehört zur Familie der Braunwurzgewächse (Scrophulariaceae) und ist in Europa, Asien und Nordafrika weit verbreitet. Im Rheinland findet man häufig Verbascum densiflorum (Großblütige Königskerze), V. nigrum (Schwarze K.) sowie V. lychnitis (Mehlige K.). Aus dem Samen entwickelt sich im ersten Jahr eine grundständige, oft filzig behaarte Blattrosette. Daraus treibt im zweiten Jahr ein wechselständig belaubter Spross, dessen Spitze in ährigen, rispigen oder traubigen Blütenständen dicht mit gelben, nur bei V. phoeniceum mit violetten Blüten besetzt ist. Die fünf Blütenkronblätter sind am Grund verwachsen, die Staubfäden meist wollig behaart. Mit ihrem üppigen Pollenangebot lockt sie von Juni bis September zahlreiche Insekten an, die die vielen Blüten bestäuben und so bis zu sechshunderttausend Samen pro Pflanze entstehen lassen.
Im Volksmund ist die Königskerze als „Wollblume“ bekannt, wegen der filzigen Behaarung, die sie vor Austrocknung und zu starker UV-Strahlung schützt. Die Bezeichnungen „Fackelkraut“ oder „Himmelsbrand“ leiten sich wahrscheinlich davon ab, dass die in Teer, Harz oder Wachs getauchten Stängel früher als Kerze oder Fackel dienten. Die Bauern nannten sie „Wetterkerze“, weil die Blätter und Blüten angeblich das Wetter voraussagten: Dichte Blätter an der Blattrosette sollten Schnee schon vor Weihnachten, dichte Blätter am Stängel Schnee zum Jahresanfang ankündigen. Für die Blüte galt: Neigt sich die Blütenspitze Richtung Westen, wird das Wetter schlecht, eine Neigung nach Osten zeigte schönes Wetter an. Als „Blitz- und Donnerkerze“ direkt am Haus wachsend sollte die Königskerze vor Blitzschlag und Unwettern schützen. Als „Marienkerze“ wird sie am 15. August, an Mariä Himmelfahrt, in den Kräuterstrauß gebunden, der Strauß in der Kirche gesegnet, und zum Schutz von Haus, Hof und Bewohnern im Haus aufgehängt.
Schon in der Antike verwendete man die Königskerze zu Heilzwecken. Hippokrates (460-370 v.Chr.) verordnete sie zur Wundbehandlung, Dioskorides (1.Jh.n.Chr.) als Mittel gegen chronischen Husten. Blüten und Wurzeln wurden gegen Durchfall und Krämpfe, Blätter als Umschläge bei Geschwüren, Verbrennungen und Augenentzündungen eingesetzt. Hildegard von Bingen empfiehlt die Königskerze bei Erkältungskrankheiten und auch für das Gemüt: „Koche Königskerze mit Fleisch oder mit Fischen ohne andere Kräuter, und esse das oft, es stärkt das Herz und macht fröhlich.“
Als Arzneipflanzen werden heute Verbascum densiflorum, V. thapsus (Kleinblütige K.) und V. phlomoides (Windblumen- oder Filzige K.) verwendet. Die heilende Wirkung wird vor allem auf Schleimstoffe und Saponine zurückgeführt, Flavonoide und Iridoide sind weitere Inhaltsstoffe. Die Schleimstoffe wirken bei Infektion der oberen Luftwege reizlindernd auf die Schleimhäute in Nase und Rachen, die Saponine lösen zähes Sekret in den Bronchien und erleichtern das Abhusten. Dazu werden in der Regel Königskerzenblüten als Teeaufguss angewendet. Bei Sängern und Schauspielern soll der „Stimmkräutertrank“, bestehend aus Königskerze, Fenchel und Wein nach einer Originalrezeptur der Hildegard von Bingen, gegen Heiserkeit und zur Stimmpflege dienen.
Die Schwarze Königskerze (Verbascum nigrum) fällt durch den kiontrast der gelben Blüten mit den violett behaarten Staubgefäßen auf.
Nicht nur als Schönheit für das Auge und für das Wohlbefinden des Menschen ist die Königskerze wertvoll, sondern auch als Nahrung für die hübsche Raupe des unscheinbaren Königskerzen-Mönchs (Cucullia verbasci), einem Nachtfalter aus der Familie der Eulenfalter. Und auch für Wildbienen ist die Königskerze nützlich: Lässt man die vertrockneten Stängel stehen, können sich Mauerbienen oder Keulhornbienen einnisten und ihre Eier ablegen. Im Frühjahr des nächsten Jahres schlüpfen die fertig entwickelten Bienen und leisten einen wichtigen Beitrag zur Bestäubung von Obstbäumen.
zuletzt bearbeitet am 16.VIII.2017