14. Jan. 2021
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Was Viren mit dem ersten Börsencrash der Geschichte zu tun haben
Joachim Schmitz
Die Zeit der Tulpenmanie im frühen 17. Jahrhundert war in den Niederlanden auch eine Blütezeit der Malerei, insbesondere von Stilleben. Und so sind auf Stilleben häufig Tulpen abgebildet. Bei den Malern besonders beliebt waren Tulpen mit auffälligen bunten Streifen oder Flecken. Heute werden solche Tulpen als Rembrandt-Tulpen bezeichnet und das Farbmuster nennt man Farbbrechung. Die Farbbrechung konnte plötzlich bei Sorten auftreten, die normal einfarbig blühen. Da Tulpen meistens vegetativ über Tochterzwiebeln vermehrt wurden, also genetisch identische Klone darstellten, konnten sie sortenrein vermehrt werden; die Farbbrechung aber auf andere Sorten zu übertragen, gelang nicht. Das konnte man sich nicht erklären. Damals hatte man aber auch noch ein sehr oberflächliches Verständnis davon, wie Pflanzen sich eigentlich vermehren, und von Genetik hatte man schon gar keine Ahnung.
Erst in den 1920er-Jahren gelang der Nachweis, dass es sich um eine Virusinfektion handelt. Man braucht nur nach der Blüte den Blütenstängel einer Rembrandt-Tulpe zu schneiden und direkt danach mit dem Messer an eine normale Tulpe zu gehen. Schon ist das Virus übertragen und im nächsten Jahr zeigt die Blüte der infizierten Pflanze eine Farbbrechung.
In der Natur werden Pflanzenviren hauptsächlich von pflanzensaugenden Insekten übertragen, neben Wanzen und Zikaden vor allem von Läusen. Es gibt aber auch Viren, die von Bodenälchen übertragen werden. Zoologisch sind das mikroskopisch kleine Fadenwürmer (Nematoden), die an Pflanzenwurzeln saugen. Das kann schon so zur einer Schädigung der Pflanzen führen; wenn dabei auch noch ein Virus übertragen wird, wird es entsprechend noch schlimmer.
Auch bei Nutzpflanzen können Virenkrankheiten auftreten. Eine größere Rolle spielt das u.a. bei Kartoffeln, Tomaten, Erbsen, Gurken und Salat. Je nach Sorte können die oben genannten Symptome in verschiedener Ausprägung und Kombination auftreten. In jedem Fall führt dies zu Ertragsminderungen bis hin zum kompletten Absterben der Pflanzen. Die Viren sind unterschiedlich wirtsspezifisch. Einen besonders großen Wirtskreis hat das Gurkenmosaikvirus. Es befällt zahlreiche Nutz- und Zierpflanzen und geht auch auf wilde Arten über.
Eine chemische Bekämpfung ist praktisch nicht möglich. Man kann nur vorsorglich gegen mögliche Überträger wie Blattläuse vorgehen. Stellt man Virusbefall fest, sind die Pflanzen vollständig zu vernichten. Der Boden sollte längere Zeit nicht mehr mit der gleichen oder einer verwandten Art bepflanzt werden.
Heute gibt es von zahlreichen Kulturpflanzen virusresistente Sorten, die ertragssicher sind und nicht die Bekämpfung potentieller Überträger benötigen. Bis jetzt sind nur Sorten zugelassen, die auf klassischer Züchtung beruhen. Dabei muss man warten, bis eine entsprechende Mutation auftaucht, mit der man dann weiterzüchten kann. Die Virusresistenz kann auf zwei Wegen erreicht werden, der Bildung antiviraler Proteine oder der RNA-Interferenz. Bei letzterer kann das Virus zwar eindringen und seine Erbanlagen einschleusen, die Produktion von Virusprotein wird aber unterdrückt.
Die von einem unbekannten Künstler gemalte Rembrandt-Tulpe Semper Augustus dürfte manchen Spekulanten in den Ruin getrieben haben.
(Bild: Norton Simon Museum Pasadena / Wikipedia Commons)
zuletzt bearbeitet am 2.II.2021