3. Juli 2025
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Links und rechts in der Natur
Roland Schulze-Röbbecke
Haben Sie sich einmal gefragt, warum in der belebten Natur so vieles symmetrisch ist? Schon im Spiegel sehen wir, dass unsere linke und rechte Körperhälfte zumindest annähernd gleich ist, nur eben „spiegelverkehrt“. Diese äußerliche Spiegelsymmetrie findet man bei den meisten Tieren und den Blättern vieler Pflanzen. Auch andere Symmetrieformen erlauben keine Unterscheidung zwischen links und rechts. Bei der radialen Symmetrie z.B. gehen gleichförmige Strukturen strahlenförmig von einer zentralen Achse aus. Radialsymmetrisch sind z.B. der Seestern, die Blüte des Gänseblümchens und die Anordnung der Blätter des Waldmeisters.
Aber der äußere Eindruck täuscht. Wir Menschen sind zu 90% Rechtshänder. Auch unsere inneren Organe sind asymmetrisch. Das Herz liegt links, die Leber rechts usw. Strukturen, die sich klar von ihrem Spiegelbild unterscheiden, werden auch als „chiral“ bezeichnet. Je mehr man die äußere Form beiseitelässt und sich mit Details beschäftigt, bis hin zu den Zellen und Molekülen, desto deutlicher wird, wie chiral Lebewesen sind.
Einige Tiere unterscheiden sich bereits äußerlich deutlich von ihrem Spiegelbild. Zu ihnen gehört der Kreuzschnabel, ein Vogel, bei dem sich Unter- und Oberschnabel überkreuzen. Während die Schnäbel der Jungvögel noch gerade sind, überkreuzen sie sich bei den erwachsenen Vögeln mit etwa gleicher Häufigkeit stets linksherum oder rechtsherum. Bei anderen, äußerlich asymmetrischen Tieren wird eine Seite klar bevorzugt. Beim männlichen Narwal entwickelt sich fast immer der linke obere Eckzahn zu einem bis zu über 2,5 m langen, gegen den Uhrzeigersinn gewundenen Stoßzahn. Und die Gehäuse der meisten Schneckenarten sind „rechts gewunden“, d.h. von der Spitze aus betrachtet windet sich das Schneckenhaus von innen nach außen, also vom Betrachter weg, im Uhrzeigersinn.
Bei schraubenförmigen Strukturen wie dem „linksdrehenden“ Stoßzahn und dem „rechtsdrehenden“ Schneckenhaus beschreibt man die Drehrichtung, indem man den Windungen folgt, wie sie sich vom Betrachter fort bewegen. Botaniker machen es dagegen umgekehrt. Sie beobachten die Pflanzen von oben und bezeichnen die Drehrichtung schraubenförmiger Strukturen danach, wie sie sich auf den Betrachter zu bewegen. Für Botaniker beschreiben z.B. die nacheinander aus dem Stamm der Kokospalme wachsenden Wedel eine rechtsdrehende Spirale, während andere Naturwissenschaftler diese als „linksdrehend“ bezeichnen würden. Um die Verwirrung komplett zu machen, trifft dies auf die Kokospalmen der Nordhalbkugel zu, während sie sich auf der Südhalbkugel in die entgegengesetzte Richtung drehen.
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Von oben betrachtet ist der Körper dieser Schnecke spiegelsymmetrisch, das Gehäuse jedoch rechts gewunden.
Ausgeprägten Vorlieben für links oder rechts findet man bei Kletterpflanzen, insbesondere bei solchen, die sich schraubenförmig an einem Stab oder Ast emporwinden. Strenge „Linkswinder“ im botanischen Sinne sind z.B. Stangenbohne und Ackerwinde, während sich Hopfen und Geißblatt rechtsherum winden.
Was aber sind „rechtsdrehende Kulturen“ im Joghurt? Die von Nahrungsmittelherstellern gerne als „Kulturen“ bezeichneten Joghurtbakterien produzieren Milchsäure, deren Moleküle in zwei chiralen Formen vorkommen. Die eine Form dreht hindurchtretendes polarisiertes Licht linksherum, die andere rechtsherum. Manche Bakterien produzieren linksdrehende, andere rechtsdrehende Milchsäure. Die linksdrehende Form muss im menschlichen Darm zunächst enzymatisch in die rechtsdrehende umgewandelt werden, um weiter verstoffwechselt werden zu können. Normalerweise ist das kein Problem, bei Säuglingen und Menschen, denen große Teile des Dünndarms fehlen, kann linksdrehende Milchsäure jedoch wegen des fehlenden Enzyms gesundheitliche Probleme verursachen.
Bei aller Regelmäßigkeit, mit der die Natur oft nach links oder rechts tendiert, müssen auch Ausnahmen erwähnt werden: Unter 40.000 Weinbergschnecken findet man einen „Schneckenkönig“ mit links gewundenem Haus. Und unter 10.000 Menschen findet man einen mit „Situs inversus“, bei dem das Herz rechts und die Leber links liegt.
zuletzt bearbeitet am 1.VIII.2025