Name im Capitulare | Nr. | Botanischer Name | Familie |
olisatum |
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Angelica archangelica L. | Apiaceae |
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Botanische Beschreibung der Art
Die Pflanze treibt zunächt
eine bodenständige Rosette mit sehr großen, dreifach gefiederten,
hellgrünen Blättern. Die Fiedern letzter Ordnung sind eiförmig
bis eiförmig-lanzettlich, bis 8 cm lang, mehr oder weniger gesägt
oder gezähnt mit in einer weißen Spitze auslaufenden Zähnen.
Im zweiten bis vierten Jahr treibt der mächtige Blütenstiel,
der bei der Typusform 2 m, bei der Unterart A. arch. ssp. litoralis
3 m und mehr hoch werden kann. Am Ende entwickelt sich eine
große Enddolde, mehrere Seitendolden folgen mit zeitlichem Abstand
nach. Nach oben wird die Pflanze auch zunehmend stärker flaumig-zottig
behaart. Vom Zentrum einer Dolde gehen 20-40 Doldenstrahlen ab, an deren
Basis die Tragblätter (Hüllblätter) meist fehlen. Am Ende
der Doldenstrahlen stehen die einzelnen schirmförmigen bis halbkugeligen
Döldchen. Aus den Achseln zahlreicher schmaler Hüllchenblätter
entspringen die Blütenstiele. Die zahlreichen, ziemlich kleinen Blüten
besitzen einen unterständigen Fruchtknoten. Der Kelch ist auf einen
undeutlichen Saum reduziert. Die grünlichen Kronblätter werden
1,5 mm lang und nicht ganz so breit. Im Gegensatz zu den meisten anderen
heimischen Doldenblütengewächsen sind sie hier einfach eiförmig-zugespitzt
und nur etwas an der Spitze eingebogen. Die Staubblätter sind viel
länger (bis 3 mm), so dass die Gesamtdolde wie ein überdimensionales
Nadelkissen aussieht. Zur Fruchtzeit zerfällt der Fruchtknoten in
zwei nussartige, abgeflachte, seitlich schmal geflügfelte Teilfrüchte.
Danach stirbt die Pflanze ab.
Bei der Kulturpflanze handelt es sich um die nordisch-eurasisch verbreitete Unterart A. arch.
ssp. archangelica, deren Wildform aus den Gebirgen Skandinaviens
und dem nördlichen Sibirien stammt. Diese Wildform (var. norvegica)
wird nur 1 m hoch und besitzt eine einfache, wenig geteilte Rübe (oft
fälschlich als Wurzelstock bezeichnet). Die Kulturform (var. sativa)
wird bis 2 m hoch und hat eine kurze, dicke, durch zahlreiche Nebenwurzeln
verzweigte Rübe. Welcher Form die Vorkommen in den höheren osteuropäischen
Gebirgen zugehören, ist unsicher. Die Unterart A. arch. ssp.
archangelica ist als Kulturpflanze nach Deutschland gebracht worden
und nur gelegentlich, z.B. an einigen bayerischen Flüssen, verwildert.
Die nordisch-europäische Unterart Angelica archangelica ssp.
litoralis kommt wild an den deutschen Meeresküsten vor und
ist an den großen Flüssen wie an der Elbe, der Weser und am
Rhein weit ins Binnenland vorgedrungen. Sie wird in allen Teilen deutlich
größer als die ssp. archangelica und die Blüten
gehen etwas mehr ins Graugrüne. In Geruch und Geschmack ist sie deutlich
strenger als die Typusform, weshalb sie nur selten (z.B. in Pommern) in
Kultur genommen wurde. Aus Russland und den asiatischen Gebirgen wurden
eine Reihe von Sippen beschrieben, von denen nicht klar ist, ob sie noch
zu dieser Art gehören; als Beispiel sei hier nur die Varietät
himalaica genannt, die - wie man unschwer schließen kann -
im Himalaja wächst. Angaben über Vorkommen in Griechenland und
Kleinasien sind mit Sicherheit falsch; es ist auch schwer vorstellbar,
wie es eine Pflanze im dortigen Klima aushalten soll, die wild auf Grönland
und in den Bergtälern Islands gedeiht.
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Geschichte
Der griechisch-römischen
Antike war die nordische Pflanze unbekannt. Die älteste Nennung stammt
aus Skandinavien aus dem 10. Jahrhundert. Dort wurde die Pflanze anscheinend
als Marktware gehandelt. Bis heute ist die Engelwurz in den Ländern
am Polarkreis eine geschätzte Heil- und Gemüsepflanze, u.a. werden
junge Stängel und Blattstiele (nach Entrindung) als Delikatesse roh
verspeist. In Lappland bereitet man aus den jungen Blütendolden und
Rentiermilch eine käseartige Speise. Wegen der Häufigkeit der
Wildpflanze und sicher auch wegen der nomadischen Lebensweise einiger nordischer
Völker wurde die Art zunächst nicht in Gartenkultur genommen.
Dies scheint erst ab dem 12. Jahrhundert der Fall zu sein. Die älteste
Erwähnung für Mitteleuropa findet sich im Gothaer Arzneibuch
aus der Mitte des 14. Jahrhunderts unter dem Namen Heiliggeistkraut.
Damals ist die Art in Klostergärten vor allem als Mittel gegen die
Pest angebaut worden.
Wahrscheinlich ist die Engelwurz auch zu dieser Zeit in Europa zum obligaten Bestandteil des Theriaks geworden.
Nach anderen Quellen geht dies auf arabische Ärzte des Mittelalters
zurück, wobei sich dann wieder die Frage stellt, woher Araber eine
nordische Gebirgspflanze gekannt haben sollen. Theriak war ürsprünglich
ein antidoton, ein Gegengift, das Andromachus, der Leibarzt Neros,
entwickelte und neben Opium und Vipernfleisch verschiedene Würzkräuter,
Wurzeln, Honig und Wein enthielt. Theriak bekam im Mittelalter den Ruf
eines Allheil- und Wundermittels und sollte sogar gegen Syphilis und Pest
helfen. Besonders seit der großen Pestepidemie von 1348 galt Theriak
als Panazee (allmächtiges Heilmittel). Damals
bestand der Theriak neben 60 (manchmal bis zu 300 !) weiteren, oft wechselnden
Zutaten, vor allem aus Opium sowie Engelwurz, Arznei-Baldrian (Valeriana
officinalis) und Möhrensamen (Daucus carota). Einer der
wichtigstens Handelsplätze für Theriak war Venedig, was nicht
unwesentlich zum Reichtum der Kaufmannsstadt beitrug. Wegen der wirtschaftlichen
Beziehungen zu Asien war besonders das Opium in reiner, nicht verlängerter
Form erhältlich. Im 18. Jahrhundert begann der Ruhm des Theriak zu
verblassen. In der Pharmacopoea Germanica von 1872 wird noch ein Electuarium
Theriaca aufgeführt, das nur noch 12 Zutaten enthält. Einen
letzten Nachhall hat Theriak in der Naturheilkunde als "Elixier für
ein langes Leben" und als "Schwedenbitter" gefunden.
Die wichtige Rolle der Engelwurz im Theriak des Mittelalters, sie wurde vielfach auch nur Theriakwurz genannt,
hat vielleicht manche Autoren von Arznei- und Kräuterbüchern
zu dem Fehlschluss verleitet, dass auch schon der antike Theriak Engelwurz
enthalten hat. Dies stimmt aber nachweislich nicht. Deshalb ist es auch
sehr unwahrscheinlich, dass der Verfasser des Capitulare die Engelwurz
überhaupt kannte. Also gehört die Engelwurz eigentlich gar nicht
in den Karlsgarten hinein.
Der Name Engelwurz bzw. Angelica taucht erstmals bei Tabernaemontanus (1588) auf. Der Name bezieht sich
wohl auf die überirdischen Kräfte, die der Pflanze zugeschrieben
wurden. Legenden, nach denen z.B. der Erzengel Rafael einen Einsiedler
auf die Heilkraft der Pflanze aufmerksam gemacht habe, sind vermutlich
in der Folge entstanden. Spekulationen, nach denen die Art schon in Skandinavien
Kultobjekt heidnischer Bräuche gewesen sein könnte, die dann
in die christliche Gedankenwelt übertragen wurden, entbehren jedweder
Belege.
Die heutige Kulturform var. sativa ist wahrscheinlich in dieser Zeit in MItteleuropa herausselektiert
worden. Die Abbildung bei Tabernaemontanus (1588) zeigt noch eine Pflanze,
die dem Wildtyp mit gering verzweigter Rübe (var. norvegica)
entspricht. Bei Bauhin (1651) ist bereits eine Pflanze abgebildet, die
weitgehend der var. sativa gleicht. Besonders deutsche Herkünfte
waren im Handel begehrt. Die von Karthäuser-Mönchen in Freiburg
im Breisgau hergestellte Droge Radix Angelicae Brisgoicae war bis
ins 18. Jahrhundert geschätzt. Ebenfalls bis in diese Zeit war Nürnberg
ein wichtiges Handelszentrum für Theriak. In größerem Umfang
wurde die Art auch um Schweinfurt angebaut, was vielleicht der Grund dafür
ist, dass der Main bis heute den Schwerpunkt verwilderter Vorkommen darstellt.
In Frankreich entwickelte
sich u.a. die Gegend um Clermont-Ferrand zum Zentrum des Engelwurzanbaus.
Französische Mönche schafften es auch, aus der ursprünglichen
Heilpflanze Süßigkeiten zu zaubern und sie zum Aromatisieren
von Likören (Chartreuse) zu verwenden.
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Heutige Bedeutung und Verwendung
Die wichtigsten Inhaltsstoffe
sind aetherische Öle vom Phellandren-Typ, ferner Kaffeesäurederivate
wie Chlorogensäure und Flavonoide. Darauf beruhen die auch in der
Schulmedizin anerkannten Wirkungen der "Wurzel" (Radix Anglicae) bei verschiedenen
Verdauungsstörungen. Nachgewiesen ist die krampflösende Wirkung
auf den Magen-Darm-Trakt, die Steigerung der Magensaftsekretion und gallelösende
Eigenschaften. Vom Kraut und den Früchten sind keine medizinischen
Wirkungen belegt. In der Naturheilkunde werden sie als harn- und schweißtreibendes
Mittel angesehen. Die Volksmedizin kennt noch zahlreiche weitere Anwendungen.
In Lappland wird die Pflanze z.B. auch als Wurmmittel verwendet. In allen
Pflanzenteilen sind Furocumarine, z.B. Angelicin, enthalten, die die Lichtempfindlichkeit
der Haut steigern, was bei starker Sonnenexposition zu Dermatosen führen
kann. In wesentlich stärkerer Form ist dieser Effekt auch vom weitläufig
verwandten Riesen-Bärenklau oder Herkuleskraut (Heracleum mantegazzianum)
bekannt. Dem Botaniker Thellung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in
Zermatt berichtet, dass sich ein spielendes Kind, das ein Stengelstück
der Engelwurz als "Fernrohr" vors Auge gehalten hatte, erheblichen Ausschlag
um das Auge zugezogen hat.
Wirtschaftlich bedeutender ist heute die Verwendung in Confiserien und Genussmitteln. In Frankreich,
aber auch in Österreich werden Stengelstücke kandiert oder als
Zutat für Torten verwendet. Zahlreichen Likören verleiht die
Engelwurz ihren typischen süßlich-aromatischen Geschmack, z.B.
im Benediktiner oder im Chartreuse. Dass es sich hierbier um traditionelle
Klosterliköre handelt, ist natürlich kein Zufall, ist doch die
Kultur der Engelwurz in Mittel- und Westeuropa zuerst in Klöstern
erfolgt. Heute wird dazu allerdings nicht mehr die Pflanze selbst verwendet
sondern die konzentrierten aetherischen Öle, die durch Wasserdampfdestillation
aus den Pflanzen gewonnen werden.