Name im Capitulare | Nr. | Botanischer Name | Familie |
coloquentidas | 20b | Bryonia alba L. | Cucurbitaceae |
|
Botanische Beschreibung der Art
Die Gattung Bryonia
gehört zu den Kürbisgewächsen und umfasst zehn Arten, die
in den Mittelmeerländern und Kleinasien bis nach Afghanistan verbreitet
sind. Die rotbeerige Zaunrübe (Bryonia dioica) und die weiße
Zaunrübe (Bryonia alba) wurden in alten Kräuterbüchern
oft als eine Pflanzenart mit gleicher Wirkung beschrieben. Jedoch ist die
rotbeerige Zaunrübe zweihäusig, wie schon der Name sagt (dioicus
= zweihäusig), d.h. rein männliche und rein weibliche Blüten
befinden sich auf zwei verschiedenen Pflanzen. Sie wächst in Mitteleuropa
häufig an Gebüschsäumen, Zäunen, Wegen, Schuttplätzen
und in Unkrautbeständen. Die weiße Zaunrübe tritt bei uns
selten auf und ist dann wahrscheinlich aus alten Kulturen verwildert. Sie
ist eine winterharte Staude, die entwässerte leicht alkalische Böden
liebt. Ihre Vermehrung erfolgte mit Samen im Herbst oder über Wurzelteilung
in der Ruhezeit. Die weiße Zaunrübe ("weiß" dürfte
sich auf die Farbe der Wurzel oder die Farbe der Blüten beziehen)
ist einhäusig, d.h. es gibt rein weibliche und rein männliche
Blüten, diese wachsen aber auf ein und derselben Pflanze. Ihre Beeren
weisen einen Durchmesser von 8 mm auf und sind im Reifezustand schwarz.
Aus einer rübenartigen,
dicken, leicht wulstig geringelten Wurzel wächst der rauhaarige Stängel
in spiralig gedrehten kletternden Ranken 2-3 m hoch. Die Blätter,
im groben Umriss breit herzförmig, sind in fünf dreieckige, unregelmäßig
oder buchtig geschweifte scharf gezähnte Lappen geteilt und wechselständig
an kurzen Stielen am Stängel angeordnet. Die Blütezeit liegt
im Juni/Juli. Die weiblichen Blüten treten in doldenähnlichen
kurzgestielten Blütenständen in den Blattachseln der mittleren
und oberen Blätter auf. Die einzelne gelblich-weiße Blüte
ist schüsselförmig, weitglockig und bis auf etwa die Hälfte
ihrer Länge in fünf eiförmige Zipfel geteilt. Sie hat einen
Durchmesser von 1 cm in der Breite und ist von fast parallelen grünen
Adern durchzogen. Die Narbe ist kahl. Die männlichen Blüten sind
mit 1,2 cm Durchmesser etwas breiter.
Die Zaunrübe enthält
Cucurbitacine und ihre Glykoside, ätherische Öle, Gerbstoff und
Saponine (in den Samen). Die ganze Pflanze ist stark giftig!
Geschichte
Der Name "Bryonia"
wurde von Plinius für Kletterpflanzen geprägt und dürfte
vom griech. "bryo" in der Bedeutung von "wachsen" herrühren,
was sich darauf beziehen könnte, dass bei der Zaunrübe mehrere
langgliedrige Stängel nebeneinander schnell aus der Erde sprießen.
Nach Dioskorides, von dem
ein Großteil unseres Wissens über die Wirkungen von Kräutern
in der Antike stammt, "säubern" die Wurzeln der Zaunrübe den
Leib, vertreiben Runzeln und machen die Haut glatt – sie vertreiben "die
Spruteln, Mackeln, Massen und die kleinen Knöfflin deß Angesichts."
Mit Öl oder Wein vermischt wirken sie gegen Geschwulste, Wundbrand,
Epilepsie, Schlaganfall und Schlangenbiss, sie heilen Abszesse, helfen
bei Husten, Seitenstechen und Kurzatmigkeit. Sie initiieren eine Abtreibung.
Als Zäpfchen eingeführt, beschleunigen sie die Geburt und ziehen
die Nachgeburt ("das Bürtlin") heraus. Wurzelsud im Sitzbad säubert
und reinigt die Gebärmutter. Auch bei Gicht in den Händen bringen
Zaunrübenwurzeln Erleichterung. Doch warnt Dioskorides vor zu reichlicher
Anwendung, denn die Zaunrübe greife auch den Verstand an. Im Übrigen
werden die Beeren benutzt, um Tierfelle zu enthaaren. Hippokrates setzte
Bryonia gegen Starrkrampf ein, und im Mittelalter glaubte man sogar, sie
helfe gegen Lepra.
Hildegard von Bingen schreibt,
dass Zaunrübenwurzeln – gekocht – auf Fußgeschwüre gelegt
werden sollten, und dass der Geruch der gekochten Rüben Schlangen
und Kröten vertreibe, ja, dass sie so viele "unwerte und unangenehme
Säfte" in sich habe, dass sie sowohl die Menschen als auch die schlimmen
Würmer töte. Immer wurde die Zaunrübe wie Aloe und Dingel
als drastisches Abführmittel genutzt (Bauhin nannte sie 1664 in seinem
Kräuterbuch "Scheißwurz"). Abführmittel waren im Mittelalter
und auch später von großer Bedeutung, weil die Ärzte der
Auffassung waren, dass jeder Körper vor einer Behandlung gereinigt
= purgiert werden müsse. Viele dieser Abführmittel wirkten als
Vaginalzäpfchen auch wie Abtreibungsmittel. So nahm man dann weiter
an, dass die Zaunrübe auch den Geschlechtstrieb mindere oder gar abtöte,
zumindest eine Empfängnis verhüte und gut sei gegen Liebeszauber.
Sie konnte aber auch das
Gegenteil bewirken und Männer anlocken oder Liebeszauber ausüben
und Zuneigung hervorrufen. Nach Von Perger trugen die Mädchen bis
in die Neuzeit zum Tanz Wurzelscheiben in ihren Schuhen und sangen: "Körfchenswurz
(plattdeutsch) in meinem Schuh, ihr Junggesellen lauft mir zu." Fritz Martin
Engels beschreibt die Zaunrübe als eine "erotische" Pflanze, einen
Fetisch im Liebeszauber, der als Alraunfälschung von Landstreichern,
Zigeunern, alten Weibern und "manchen verloffenen christlichen Personen"
aufs "lesterlichste und schendlichste" als Aphrodisiakum auf den Märkten
gepriesen und angeboten wurde. Die Rübe, geschnitzt und zurechtgestutzt
wie die echte Alraune (Mandragora officinarum – Solanaceae), deren
Wurzel eine menschenähnliche Gestalt hat und in der die Leute magische
Kräfte vermuteten, war als "englische Alraune" bekannt und wurde in
Kräuterläden verkauft.
Die Wurzeln können übrigens
sehr groß werden. Culpeper berichtet 1653 in The English Physitian
Enlarged: "Der Leibarzt der Königin zeigte mir eine Wurzel, die wohl
ein halbes hundert Pfund schwer und so groß wie ein einjähriges
Kind war." Im übertragenen Sinn sollte die Wurzel auch im Hause aufgehängt
gegen Gewitter und am Hals getragen gegen Hexen schützen. Man tat
sie ins Kuhfutter, damit die Kühe nicht verschrien würden und
blaue Milch gäben. Man versuchte auch die Gicht zu heilen durch "Überpflanzung",
in dem man Blut des Gichtkranken in eine ausgehöhlte Rübe füllte
und diese dann vergrub.
Zum Schluss noch andere Namen
aus dem Volksmund, die das oben Beschriebene ausdrücken: Teufelskirsche,
falsche Alraune, Hundskürbis, Gichtrebe, Gicht-, Hecken-, Hunds-,
Ross- oder Teufelsrübe, Stickwurz, Faselrübe, Faulrübe,
Sauwurzel, Tollrübe.
Heutige Bedeutung und Verwendung
Im Herbst werden die Wurzeln
der weißen Zaunrübe geerntet. Sie werden in Scheiben geschnitten
und getrocknet. Ihre Extrakte verarbeitet man in homöopathischen Mitteln.
Die Wurzeln enthalten als Hauptwirkstoff Cucurbitacine und deren Glykoside.
Ein wässriger Extrakt der Droge besitzt in vitro antitumorale Aktivität,
was aber wegen der stark toxischen Wirkung therapeutisch nicht genutzt
wird. Bei Berührungen mit der frischen Wurzel kann es zu Hautreizungen,
Blasenbildung und Entzündungen kommen, weil verstärkt Blut dem
gereizten Gewebe zugeführt wird. Diesem Umstand nutzt man und stellt
ein Wurzelextrakt her, das äußerlich angewendet Muskel- und
Gelenkschmerzen und rheumatische Schmerzen lindert. Außerdem hilft
es bei Arthritis, bei Brustfellentzündung und in stark verdünnter
Form bei Lähmungen, Wassersucht und entzündeten, aber nicht eiternden
Drüsen und Geschwulsten.
Laut Lexikon der Arzneipflanzen
und Drogen werden wegen ihrer immunstimulierenden Wirkung spezielle Extrakte
aus der Wurzel in einigen Fertigarzneimitteln verwendet. Ein toxikologisches
Risiko besteht bei diesen Präparaten nicht. Früher verwendete
man die Wirkstoffe der Zaunrübe in ganz geringen Dosen auch innerlich
gegen Asthma und Bronchialbeschwerden, Verstopfung, Darmgeschwüre,
Bluthochdruck und Leberleiden. Die ganze Pflanze hat eine antivirale Wirkung
und ist giftig, besonders für Schwangere. In homöopathischen
Dosen abführend, ruft sie in Überdosis heftige Koliken und Durchfälle
hervor, bewirkt hochgradige Erregungszustände und Lähmungen,
die letztendlich zum Tode führen.
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zuletzt geändert am 27.IV.2001