Name im Capitulare  Nr. Botanischer Name Familie
ceresarios
89b
Prunus cerasus L. Rosaceae

 

Steppenkirsche - eine wilde Elternart der Sauerkirsche

 
 Sauerkirsche
deutscher Name 
 Zure kers
niederländischer Name 
 griottier
französischer Name 
 sour cherry
englischer Name 

 
Beschreibung

Geschichte

 Verwendung

 
Botanische Beschreibung der Art

Die Sauerkirsche wächst als Strauch oder bis 10m hoher Baum mit lockerer, runder Krone. Die Rinde und die später erscheinende Ringelborke sind glänzend-rötlichbraun mit großen Korkwarzen. Die elliptisch-eiförmigen, schwach ledrigen Blätter sind am Rand doppelt gesägt, werden bis 12cm lang und tragen am oberen Ende des 1-3cm langen Stiels 0-2 Drüsen. Die weißen Blüten entspringen in wenigblütigen Dolden direkt am vorjährigen Holz. Im Gegensatz zur Süßkirsche entwickeln sich am Grund der Dolden auch Laubblättchen. Die 2,5cm breiten Blüten setzen sich aus fünf Kelch-, fünf freien Kron-, ca.20 Staubblättern mit gelben Staubbeuteln und 1 oberständigen Fruchtblatt zusammen. Die Steinfucht ist kugelig oder etwas breiter als hoch und erreicht Durchmesser von 15-20mm.

Die sehr formenreiche Art wird in mindestens zwei Unterarten geschieden, die ssp. cerasus mit baumförmigem Wuchs und kugeligem Steinkern und die ssp. acida mit ± strauchförmigem Wuchs (mit Wurzelausläufern) und eiförmigem Steinkern. Die große Variabilität deutet darauf hin, dass es sich nicht um eine stammesgeschichtlich homogene Art handelt. U.a. aufgrund von Kreuzungsexperimenten nimmt man heute an, dass sie aus wiederholten Kreuzungen der Süßkirsche (P. avium) und der Steppenkirsche (P. fruticosa) (Abb. oben) hervorgegangen ist. Die Areale dieser Arten überlappen sich in Osteuropa und Westasien und in diesem Gebiet ist es wahrscheinlich mehrfach zur Entstehung der Sauerkirsche gekommen. Dies würde auch erklären, warum die Sauerkirsche mal baumförmig (wie die Süßkirsche) und mal strauchig (wie die Steppenkirsche) wachsen kann, und warum sich so leicht Hybridsorten von Süß- und Sauerkirsche erzeugen lassen.

Die Zuordnung der Zuchtsorten zu den Unterarten und Varietäten ist in Einzelfällen schwierig. Meist zur ssp. cerasus gehören die Glaskirschen (Amarellen, Wasserkirschen) (var. cerasus) mit hellroten, sauren Früchten mit farblosem Saft auf kurzen Stielen (2-3 mal so lang wie der Blütenbecher), von denen sich der Stein nicht löst; hierher z.B. 'Königliche Amarelle' und 'Ludwigs Frühe'.  Zur gleichen Unterart zählen die Süßweichseln (var. austera) mit roten, lang gestielten Früchten mit gefärbtem Saft. Der Stein löst sich leicht vom Stiel; hierher z.B. 'Rote Maikirsche' ('Maiammer'). Die Sorten der ssp. acida werden als Strauchweichseln oder Schattenmorellen bezeichnet. Die Frucht ist immer dunkelrot mit gefärbtem Saft. Wichtigste Sorte ist 'Schattenmorelle' ('Große Lange Lotkirsche', 'Nordkirsche', 'Schwarze von Montreux'); bekannt ist auch 'Ostheimer Weichsel'; hierher wohl auch die als Maraschino-Kirsche bekannte 'Maraschka' (var. marascana) aus dem Balkan.

Weitere Sorten sind durch Bastardierung mit der Süßkirsche entstanden. Formen, die mehr zur Sauerkirsche tendieren, heißen Halb-Weichseln ('Schöne von Chatenay'), solche, die eher der Süßkirsche ähneln, Halb-Kirschen ('Königin Hortense'). Wahrscheinlich gehören noch weitere Sauerkirschen-Sorten hierhin. Der Bastardcharakter ist oft schwierig nachzuweisen, und die Züchter haben dies entweder nicht dokumentiert oder als "Betriebsgeheimnis" betrachtet.

Eindeutig wilde Vorkommen sind nicht bekannt. Wahrscheinlich ist die Sauerkirsche eine reine Kulturpflanze. Besonders die Unterart acida verwildert aber leicht und ist heute im ganzen Anbaugebiet eingebürgert. Z.B. ist sie in Süd- und Mitteldeutschland regional häufig in Schlehen- und Ligustergebüschen.
 

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Geschichte

Griechisch kerasos oder lateinisch cerasus  war in der Antike allgemein der Ausdruck für Kirsche. Deshalb lässt sich aus schriftlichen Überlieferungen nicht rekonstruieren, wann und wo die Sauerkirsche erstmals kultiviert wurde und wann sich die Kultur entlang des antiken Mittelmeers ausgebreitetet hat. Man kann oft lesen, dass der Ursprung der Sauerkirsche im Schwarzmeergebiet liegen soll. Dafür spricht, dass diese Region schon immer klassisches Obstanbaugebiet war. Aus den obigen Ausführungen zur Botanik der Art ergibt sich, dass die Art aber auch an anderen Orten in Osteuropa und Westasien entstanden sein kann. Vielleicht ist das Fehlen differenzierter Namen auch so zu deuten, dass die griechisch-römische Antike tatsächlich nur eine Kirschart und dann sicher die Süßkirsche als kultiviertes Obstgehölz kannte.

Jedenfalls beziehen sich die bei Plinius zitierten Vorkommen von "prunus cerasus" in Britannien, Belgien und Germanien mit Sicherheit auf die Süßkirsche. Die ersten eindeutigen Nennungen der Sauerkirsche für Mitteleuropa tauchen im 16. Jahrhundert bei Dierbach und Matthiolus auf. Nach den bisher bekannten archäologischen Steinkernfunden scheint die Sauerkirsche von Osten nach Deutschland eingeführt worden zu sein. Der älteste sichere Nachweis wurde im polnischen Poznan (Posen) in Schichten aus dem 10.-11. Jahrhundert gefunden. Danach häufen sich Funde in Polen. Westlich davon bleiben Belege bis ins 14. Jahrhundert spärlich und konzentrieren sich auf größere Städte (u.a. Hamburg, Lübeck, Göttingen, Duisburg, Heidelberg, Zürich). Anscheinend ist die Sauerkirsche erst ab dem 15. Jahrhundert in Deutschland in größerem Umfang angebaut worden. Von daher erscheint es zweifelhaft, ob im Capitulare mit "ceresarios" überhaupt die Sauerkirsche gemeint oder miterwähnt ist.

Nach dem Vorbild von Versailles wurde es im Barock an Fürstenschlössern üblich, in "Orangerien", die man nur bedingt mit modernen Gewächshäusern vergleichen kann,  zu Repräsentationszwecken exotische und wärmeliebende Pflanzen zu kultivieren. Meist wurden Zitrusfrüchte, Bananen, Melonen, Kamelien, Oleander und dergleichen mehr gezogen. Die Gärtnerei des Schlosses Sanssouci in Potsdam haben sich daneben besonders auf die Kultur von Kirschen spezialisiert und dabei viele Techniken aus der Unter-Glas-Zucht erfolgreich auf Kirschen übertragen bzw. überhaupt erst entwickelt. Friedrich II. legte großen Wert auf Obst und Gemüse und besonders auf Kirschen, die er zum einen selbst gerne verzehrte; zum anderen gehörte es auch zur standeswürdigen Reputation, möglichst lange im Jahr frisches Obst vorzuhalten. Den Einfallsreichtum seiner Gärtner spornte Friedrich u.a. dadurch an, dass er für Kirschen bis zum März 2 Taler pro Stück (!) abrechnete. Der Verfasser kennt den Wert eines friderizianischen Talers nicht, aber es dürfte nahe ans Auswiegen mit Gold gekommen sein. So entwickelten die Gärtner von Sanssouci alle möglichen Techniken zur Frühtreiberei, in Wintergärten, vor südexponierten, terrassierten Mauern, die z:T. durch Glasabdeckungen noch stärker erwärmt wurden, u.a.m.

Leider wurde damals wenig Wert auf wissenschaftliche Genauigkeit gelegt, so dass nur schwer zu rekonstruieren ist, welche Formen dafür verwandt wurden. Eine Aufstellung der Berliner Schloß- und Hofapotheke von 1758, die als Produkte "Kirsch-Lavendel-Wasser, Schwarzkirschwasser, Sauerkirsch-Sirup, eingemachte saure Kirschen, Sirup aus Sauerkirschen mit Tagetes-Blüten" anbietet, macht es wahrscheinlich, dass überwiegend Sauerkirschen-Sorten gezogen wurden. Dafür spricht auch, dass Potsdam wahrscheinlich außerhalb des natürlichen Areals der (wilden) Süßkirsche liegt, während das Anbaugebiet der Sauerkirsche bis weit nach Skandinavien reicht.

Das Pflanzmaterial musste bis aus Holland herbeigeschafft werden. Erst 1790 gründete der Königliche Gartendirektor Schulze eine eigene Baumschule, die nicht nur die königlichen Gärten versorgte, sondern auch Geistliche und Schullehrer (! - das waren noch Zeiten!) unentgeldlich mit Pflanzen belieferte.

Im Gegensatz zur Süßkirsche wurde die Sauerkirsche auch in der Volksheilkunde benutzt. Das bei Verletzung austretende "Weichselgummi" galt als krampflösend, die Fruchtstiele als Diuretikum, also harntreibendes Mittel. Kräuterbier mit zerstoßenen Sauerkirschen (einschließlich der Steinkerne) sollte Leber und Galle anregen.. Bis in die jüngste Vergangenheit diente Kirschsirup zur Geschmacksverbesserung bitterer Heilsäfte.  Außerdem wurden die Blätter als Tee- und Tabakersatz verwendet.
 

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Heutige Bedeutung und Verwendung
 

In den Inhaltsstoffen weicht die Sauerkirsche nur wenig von der Süßkirsche ab. Sie enthält z.B. weitgehend die gleichen Catechine, Flavonoide, Anthocyane, Cumarine und Blausäure freisetzende Zuckerstoffe. Wichtigster Unterschied ist der im Schnitt doppelt so hohe Säuregehalt der Frucht. Neben der dominierenden Äpfelsäure besitzt die Sauerkirsche auch etwas Weinsäure. Wegen des säurebetonten Gechmacks werden Sauerkirschen seltener als Frischobst vermarktet. Häufiger werden sie zum Einmachen, für Gelees, für Kuchen usw. verwendet.

Das Holz ähnelt dem der Süßkirsche und wird auch genauso verarbeitet. Naturgemäß eignen sich hierfür nur baumförmig wachsende Sorten. Ferner macht man aus dem Holz Pfeifen als Ersatz für Bruyère.

Auch von der Sauerkirsche gibt es reine Ziersorten wie 'Aureovariegata' mit gelb gescheckten Blättern, 'Persiciflora' mit rosa oder 'Plena' mit halbgefüllten Blüten. Die "Allerheiligenkirsche" 'Semperflorens' blüht und fruchtet vom Mai bis in den Herbst.
 

 




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zuletzt geändert am: 6.VIII.2002