Name im Capitulare Nr. Botanischer Name Familie
solsequiam 21a Heliotropium europaeum L. Boraginaceae

 

 
 Europäische Sonnenwende
deutscher Name 
 Europese heliotrop
niederländischer Name 
 tournesol
französischer Name 
 european heliotrope
englischer Name 

 
Beschreibung

Geschichte

 Verwendung

Botanische Beschreibung der Art

Die einjährige Pflanze ist überall kurz und dicht behaart und erreicht kaum 30 cm Höhe. Der Stängel ist vom Grund an reich verzweigt. Die wechselständigen Blätter sind elliptisch-spatelig bis ei-lanzettlich (im Mittel 2 x 4 cm) und deutlich gestielt. Die bis 4mm großen, fünfzähligen Blüten sind streng zweireihig in dichten Wickeln angeordnet, die an der Spitze auffällig eingerollt sind und sich erst im Laufe der Blütezeit bzw. der Fruchtreife strecken. Die Wickel können einzeln oder zu mehreren zusammen stehen. Die lanzettlichen Kelchblättchen sind wie die Kronblätter am Grund zu einer kurzen Röhre verwachsen. Die Blütenkrone ist weiß oder leicht bläulich und im Schlund gelblich. Die Staubblätter sind - wie bei vielen Arten der Familie Rauhblattgewächse - innen an der Kronröhre angewachsen. Schlundschuppen fehlen. Die beiden Fruchtblätter sind von Anfang an tief geteilt und zerfallen bei der Fruchtreife in 4 dunkelbraune Nüsschen mit grobwarziger Oberfläche.

Von den ca. 220 Arten der Gattung Heliotropium ist nur die Europäische Sonnenwende bis nach Deutschland vorgedrungen. Sie   stammt ursprünglich aus Vorderasien und hat sich von hier schon früh über das ganze Mittelmeergebiet ausgebreitet. Außerhalb ihres engeren Ursprungsgebiets kommt die Art nur als Kulturfolger vor. Dies legt die Vermutung nahe, dass die vermeintliche Heilpflanze bewusst verbreitet oder zumindest als "Unkraut" geduldet wurde. Wahrscheinlich ist sie in der späten Antike oder im frühen Mittelalter so auch nach Deutschland gelangt.  Die sehr wärmeliebende Art war immer schon selten und ist infolge der Intensivierung der Landwirtschaft und der Versiegelung der Böden noch weiter zurückgegangen. Die größten Vorkommen finden sich noch im Nahegebiet und am benachbarten Mittelrhein.

Mehrere amerikanische Arten, z.B. Heliotropium peruvianum, werden wegen des intensiven, vanille-artigen Blütendufts als Zierpflanzen kultiviert. Die Europäische Sonnenwende ist dagegen völlig geruchlos.
 

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Geschichte

Der Name Heliotropium geht auf Dioskorides zurück und bezieht sich darauf, dass die Pflanze die Blätter nach der Sonne ausrichtet. Dioskorides unterschied eine große und eine kleine Art. Matthioli, Bauhin und andere "Väter der Botanik" im ausgehenden Mittelalter identifizierten die große Art ("Heliotropium majus Dioscoridis") mit H. europaeum. Die Beschreibung bei Dioskorides würde aber auch zu H. villosum oder anderen eng verwandten mediterranen Arten passen. Bei der kleinen Art handelt es sich vielleicht um H. supinum oder um eine Vergissmeinnicht-Art. Auch Plinius unterschied ein Heliotropium helioscopium von einem Heliotropium tricoccum. Letzteres ist vermutlich eine Wolfsmilch-Art (Gattung Euphorbia); auch in dieser Gattung gibt es Arten, die ihre Blätter nach der Sonne drehen.

Die Sonnenwende ist ein klassisches Beispiel für die Signaturlehre. Im Sinne dieser Lehre verstand man auffällige Merkmale von Pflanzen als Zeichen, die auf die heilsamen Wirkungen dieser Art hinweisen. Die länglichen, an der Spitze eingerollten Blütenstände wurden als Hinterleibe von Skorpionen interpretiert. Deshalb schrieb schon Dioskorides der Sonnenwende eine Wirkung gegen Skorpionstiche, Schlangenbisse und Krebs zu. Aus der Vierzahl der Nüsschen folgerte Dioskorides eine Wirksamkeit gegen das "Quartanfieber" ("4-Tage-Fieber", heute Malaria quartana genannt). Vier Nüsschen sollten gegen Malaria quartana und drei Nüsschen sinnigerweise gegen Malaria tertiana helfen. Aus der Oberflächenstruktur der Nüsschen wurde eine Wirkung gegen Warzen abgeleitet. Außerdem wurde das bitter schmeckende Kraut auch als Wundmittel und als Abführmittel benutzt. Nach Matthioli sollte es sogar  Ameisen vertreiben.

In den meisten Religionen ist die Sonne mit dem höchsten Gott assoziiert, z.B. bei den Römern Jupiter oder Wotan bei den Germanen. Deshalb schrieb man Pflanzen, die mit der Sonne in Verbindung gebracht wurden, z.B. weil sie sie sich nach der Sonne ausrichten, besondere Zauberkräfte zu. So wurde auch der Sonnenwende mancherlei magische Wirkung unterstellt bis hin zur Fähigkeit, eine Person unsichtbar zu machen. Die christliche Kirche hat solche Vorstellungen aufgenommen und in ihrem Sinne abgewandelt. So soll Albertus Magnus empfohlen haben, die Sonnenwende zu sammeln, wenn die Sonne im Sternbild des Löwen steht (gleich zwei Symbole für den Weltherrscher auf einmal!), und sie in einer Kirche auszulegen; dann müssten alle ungetreuen Frauen so lange dableiben, bis man das Kraut wieder entfernt. Vermutungen, dass die Sonnenwende Bestandteil der mittelalterlichen Hexensalben war, entbehren konkreter Belege. Wahrscheinlich wussten die oft genug als Hexen diffamierten Kräuterfrauen besser als die Buchgelehrten, dass die Sonnenwende keine medizinische oder berauschende Wirkung besitzt.

Angesichts der Bedeutung von Dioskorides für die mittelalterliche Medizin kann man vermuten, dass die Sonnenwende bis in die Neuzeit offizinell, also ein gebräuchliches Heilmittel, war. In der Schulmedizin spielt die Pflanze heute keine Rolle mehr. Volksnamen wie Skorpionskraut, Krebsblume, Wodanskraut oder Warzenkraut belegen, dass die Volksmedizin noch lange an die Wirksamkeit der Pflanze glaubte.
 

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Heutige Bedeutung und Verwendung

Sämtliche der Sonnenwende zugeschriebenen Wirkungen entbehren jeder nachprüfbaren Grundlage. Der Pflanze fehlen nicht nur irgendwelche Heilstoffe; sie muss sogar als Giftpflanze eingestuft werden. Man weiß zwar seit Paracelsus, dass nur die Dosis aus dem Gift eine Medizin macht, aber von den sogenannten Heliotropium-Alkaloiden sind bisher nur negative Auswirkungen bekannt. Diese chemisch der Gruppe der Pyrrolizidin-Alkaloide zugehörigen Inhaltsstoffe gelten als Lebergifte und können z.T. Krebs auslösen. Es ist schon eine bittere Ironie, dass die Signaturlehre die Pflanze gerade zum Mittel gegen Krebs erhoben hat. Dementsprechend spielt die Pflanze heute weder in der Schulmedizin noch in der Naturheilkunde irgendeine Rolle. Die Heliotropium-Alkaloide wurden früher als Cynoglossin oder Heliotropin bezeichnet. Mit Heliotropin wird heute meist der Duftstoff der amerikanischen Heliotrop-Arten mit wohlriechenden Blüten bezeichnet. Statt Heliotropin wird dafür auch der Name Piperonal verwendet.

In ökologischer Hinsicht hat die Art allerdings noch Bedeutung. Wie viele andere sogenannte Ruderalpflanzen, die früher an Wegen, auf Brachen und in extensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen verbreitet waren, gehört sie zu den großen Verlierern der Intensivierung der Landwirtschaft und der Ausräumung der Landschaft, die in in den vergangenen Jahrzehnten zu einer enormen Vereinheitlichung und damit Verarmung des ländlichen Raums geführt haben. Auch wenn die Art für den Menschen keinen direkten Nutzen hat, trägt sie doch zur Biodiversität bei und die für den Naturschutz zuständigen Stellen und Organisationen sind gefordert, das drohende Aussterben dieser Art in Deutschland zu verhindern.
 

 
 

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zuletzt geändert am: 26.I.2001