Name im Capitulare Nr. Botanischer Name Familie
rutam
6
Ruta graveolens L. Rutaceae

 

 Weinraute
deutscher Name 
 Wijnruit
niederländischer Name 
 rue
französischer Name 
 common rue
englischer Name 

 
Beschreibung

 Geschichte

 Verwendung

 
Botanische Beschreibung der Art

Die mit Orangen- und Zitronenbäumen verwandte Weinraute ist ein 20-90 cm hoher, am Grunde verholzter Halbstrauch mit 4-11 cm langen und 3-7 cm breiten Blättern. Die zwei- bis dreifach gefiederten, blaugrün erscheinenden Blätter zergliedern sich in zahlreiche, verkehrt eiförmige Fiederblättchen. Im Gegenlicht erscheinen diese aufgrund eingelagerter Öltröpfchen fein hell punktiert.

Die im Mittelmeerraum weit verbreitete Art erreicht in der Rhein-Main-Region den Nordrand ihres natürlchen Verbreitungsgebietes. Hier blüht die Weinraute von Juni bis August. Die grünlich-gelben, proterandrischen ("vormännlichen", d.h. in jeder einzelnen Blüte geht die männl. Phase der weibl. voraus) Blüten gruppieren sich zu reichblütigen Trugdolden. Die endständigen, an der Spitze von Haupttrieben stehenden Blüten dieser Blütenstände sind 5-zählig, d.h. sie sind aus jeweils 5 Kelch-, Kron- und 2 mal 5 Staubblättern aufgebaut. Die fünf Fruchtblätter sind untereinander zu einem fünf-fächrigen Fruchtknoten verwachsen, an dessen Basis sich ein fleischiger Gewebewulst vorwölbt, der Nektar zur Anlockung potentieller Bestäuber ausscheidet. Nicht endständige Blüten folgen mit ihren 4-zähligen Blüten seltsamerweise einem abweichenden Bauprogramm.

Die Pflanze zeigt in allen Teilen einen streng aromatischen Geruch. Zu den - unter anderem hiervon - angelockten potentiellen Bestäubern zählen bei uns in Mitteleuropa Hautflügler (wie unsere Bienen) und Dipteren (Zweiflügler). Interessant ist die Situation, auf die Bestäuber bei der Suche nach Nektar treffen und durch die die Weinraute für sich Fremdbestäubung sichert:

Die Blüte enthält 10 (8) Staubbleutel, getragen von steifen, sternförmig in der Blüte gruppierten Fäden, bereit ihren Pollen auf die Insekten zu übertragen. Von diesen Fäden biegt sich zunächst einer in die Höhe, stellt den entprechenden Staubbeutel in das Zentrum der Blüte, an die „Einfluglinie" der Insekten auf dem Weg zum Nektarium an der Stempelbasis. Diese Position hält der Staubfaden nahezu einen Tag, biegt sich aber dann zurück und nimmt seine frühere Lage wieder ein, zugleich tritt ein zweites Staubblatt an Stelle des ersten. Etwa zehn Tage lang bleibt die Blüte so in einer männlichen Phase bereit ihre Pollen zu verbreiten, bevor die dann belegungsfähig gewordene Narbe in die Blütenmitte tritt, um Fremdpollen zu empfangen.

Außer für die entsprechenden Bestäuber sind die Blütenstände und Blätter von Ruta für die Raupen des Schwalbenschwanzes als Futterquelle äußerst attraktiv. Bei feldmäßigem Anbau (im Mittelmeerraum) können durch die bei uns selten gewordenen Schmetterlinge große Schäden entstehen.

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Geschichte

Im ostmediterranen Raum wird Ruta graveolens wie auch ihre nahen Verwandten (insbesondere R. chalepensis) schon seit dem Altertum kultiviert. Älteste Nachweise von Nutzung der Weinraute gehen zurück auf assyrische Quellen; schon hier waren positive medizinische Wirkungen der Pflanzen bekannt.
    Nach LUKAS [11,42] zählt die Raute neben der Minze zu den Kräutern, von denen die Pharisäer den Zehnten gaben. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Raute als im Gebiet wildwachsende Pflanze prinzipiell vom Zehnten befreit war. Das Talmudische Gesetz legte fest, dass man nur von kultivierten Kräutern, bei LUKAS "allerlei Gemüse" genannt, den Zehnten zahlen musste. Anzunehmen ist daher, dass hier die Kulturform der Raute – vielleicht schon Ruta graveolens - gezogen wurde. (Die in den Bergen Palästinas wildwachsende R. chalepensis unterscheidet sich von der heute noch kultivierten Art einzig durch ihre gefransten Blütenblätter.)
    In römischen Gärten zog man Rautenpflanzen als nützliche und zugleich dekorative Einfassungen der Gartenbeete. Aus praktischer Erfahrung war bekannt, dass offenbar aufgrund der Nachbarschaft von Ruta Schädlinge von den Beeten ferngehalten wurden. Darüber hinaus wurde die Raute zu einem der wichtigsten Gewürze der römischen Küche. Aus dem antiken Kochbuch des APICIUS geht hervor, dass sie hervorragend passt zu Soßen für Geflügel, zu Bohnen, Erbsen, Linsen, zu Fisch, Kardendisteln, Kräuterkäse und Wein. Heute ist die Bedeutung als Würzkraut zurückgegangen, jedoch kann Raute - wegen des intensiven Geschmacks in sparsamer Verwendung - darüber hinaus empfohlen werden zu Wild, Hammel, Eiern, Salat, Gebäck und Kräuterbutter. Als Geheimtip wird gehandelt: Nach dem Genuss von Knoblauch ein Butterbrot mit einem Rautenblatt zu essen, um den Mundgeruch loszuwerden.
    Mit den Römern gelangte die Raute und das Wissen um ihre Verwendung als Würz- und Heilpflanze nach Mitteleuropa wie auch die Kenntnis vom Umgang mit der Pflanze: so der Rat, beim Jäten von Rautenbeeten die Hände mit Öl einzureiben und zu schützen (nach Berührung von Rautenblättern blühender Pflanzen kann bei Sonneneinwirkung ein Hautauschlag mit nässenden Blasen hervorgerufen werden).
    Die ersten Aufzeichnungen über Kulturpflanzen in Mitteleuropa – wie das "Capitulare de Villis" – erwähnten stets auch die Raute. Der Name „Wein"-Raute wurde erst im späteren Mittelalter geprägt, den charakteristischen, weinartigen Geruch der Pflanze berücksichtigend.

Die Raute wurde insbesondere zum Aromatisieren von Essig genutzt. Berühmt wurde sie in dieser Funktion als Hauptbestandteil des Vierräuberessigs. Im Mittelalter spielte die Weinraute eine hervorragende Rolle in der sich entwickelnden Medizin. PARACELSUS stellt folgende medizinische Wirkungen der Raute zusammen: "Gegen Husten soll man sie in Molken, Käsewasser sieden und heiß trinken. Wenn du Majoran, Salbei, Minze und Raute in Wein kochst, hilft dies bei Kopfschmerz. Bei Ohrenschmerzen koche die Pflanze und lege dies auf." DIOSKORIDES berichtet: Rautensamen ... "in Wein getrunken / widersteht allem todlichen Gifft / und wirdt nützlich an statt der Arzney gebraucht / die man Antidota Griechisch nennt / unnd wider das Gifft und andere innerliche gebrechen einzunemen bereyt. Weinrauten Blätter ... mit wäl-schen Nüssen und truckenen Feygen vorhin eingenommen / benemen dem Gifft alle seine Krafft." Desweiteren: "Rauten gessen oder getruncken / dempfft unnd verdörrt den natürlichen Samen." Sie galt als universelles Gegengift und Mittel, Männer impotent und Frauen unfruchtbar zu machen. Später wurde sie als regelrechtes Anaphrodisiakum angesehen und missbräuchlich auch als Abortivum benutzt. Vor allem bildende Künstler aßen Raute, weil "gesalzen / eingemacht und gessen / macht klare Augen / unnd ein scharff Gesicht" (DIOSKORIDES) sie die Schärfe des Augenlichtes erhielt. Eine Spülung mit Rautenaufguss hilft bei angestrengten und müden Augen und findet auch heute noch homöopathische Anwendung. Raute galt sogar als wirksamer Schutz gegen die Pest, weswegen sie im 16.,17. und 18. Jahrhundert stetiger Bestandteil von Haus- und Kräutergärten war. VALENTINI berichtet 1719: Man sollte sie zerschnitten auf Butterbrot essen, ehe man ausgehe; außerdem solle man einen Löffel Rautenessig nehmen und sich "damit ausstreichen"... (Vierräuberessig: Eine Legende besagt, dass Rautenessig während der Pest in Marseille von vier grausamen Räubern getrunken wurde, die dadurch von der Ansteckung verschont blieben, obgleich sie die Pestkranken und Toten beraubten und so mit den Auslösern der Krankheit in Kontakt kamen). In solchen Legenden gründet wohl auch der Ruf der Pflanze als Zauberkraut, das sogar den bösen Blick bannen und selbst vor dem Teufel schützen könne. Denn "das Rautenwasser ist gut, welchs Mensche das an seinem Halse hat, dem mag der Teufel nicht schaden!"
    DIOSKORIDES schreibt: "Die Wurtzel der wilden Rauten / wirdt Berge Moley genennt." Moly ist das berühmte Zauberkraut, von dem HOMER sagt: "Schwarz war die Wurzel, weiß wie Milch war die Blüte." Hermes, der Götterbote und Mittler zwischen Oben und Unten, überreichte dieses Kraut dem Odysseus als Abwehrmittel gegen den Zauber der Kirke, die seine Gefährten in Schweine verwandelt hatte. Dass Moly als Weinraute zu identifizieren ist, kann aus den Quellen nicht schlüssig nachgewiesen werden. Nach RÄTSCH steht das Wort "moly" wahrscheinlich für eine Gruppe von Zauberpflanzen psychoaktiver und magischer Verwendung, zu denen sicher auch die Weinraute zu zählen ist.

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Heutige Bedeutung und Verwendung

Wenn auch der Anbau von Weinrauten heute kaum noch Bedeutung hat, findet die Droge Folia Rutae (Herba Rutae graveolens), respektive das aus Rautenblättern und –samen gewonnene ätherische Öl Verwendung in der Naturheilkunde als Grundstoff zur Herstellung von Mitteln gegen Rheuma und Gicht. Die verdauungsfördernde Wirkung kommt bei der Verwendung der Droge als aromatischer Zusatz zum italienischen Grappa (Tresterschnaps) sowie Likören zur Geltung.

Bei der Verwendung von Rutaerzeugnissen ist zu beachten, dass die Weinraute eine Giftpflanze ist. Größere Gaben verursachen bei innerlichen Anwendung Vergiftungen – so dass die Droge als Medikament nur auf ärztliche Verordnung verabreicht werden sollte. Verarbeitet in Genußmitteln ist die Konzentration des kritischen Wirkstoffes zu gering, als das hierdurch eine Gefährdung bestünde.

Eine interessante Verwendungsmöglichkeit für die Weinraute könnte sich im biologischen Gartenbau aufgrund ihrer - seit alters her bekannten - Wirkung gegen viele Pflanzenschädlinge ergeben.
 
 

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zuletzt geändert am:20.X.2000