Name im Capitulare | Nr. | Botanischer Name | Familie |
Jovis barbam | 73 | Sempervivum tectorum L. | Crassulacea |
|
Botanische Beschreibung der Art
Die Dach-Hauswurz ist eine ausdauernde Pflanze, die 10-60 cm hoch wird. Sie zählt zu den Dickblattgewächsen. Sie blüht von Juli-September, stammt aus den Gebirgen Mittel- und Südeuropas, trifft sie aber sehr häufig auf Dächern, Mauern und in Steingärten an und ist durch Anpflanzung über ihr eigentliches Gebiet hinaus weit verbreitet.Wild kommt sie in der Varietät rhenanum in den Felsfluren des Ahr- und Moseltals als seltener Endemit vor.
Kennzeichnend sind, wie für die gesamte Familie, die dickfleischigen Blätter, in denen die Pflanzen Wasser speichern und so lange Trockenzeiten überstehen können. Der Gattungsname Sempervivum nimmt hierauf Bezug, denn die Pflanze scheint immer lebendig zu sein bzw. überleben zu können.
Die verkehrt eiförmigen Blätter stehen in Rosetten von 3-14 cm Durchmesser. Diese kugeln sich im Winter ab und breiten sich in der Wachstumsperiode vielstrahlig sternförmig aus. Die Blätter sind grau bis leicht bläulich grün und an der Spitze braun-rot überlaufen. Randlich dicht gewimpert und laufen sie oben in eine deutliche Spitze aus. Aus den Rosetten treiben im Frühjahr Ausläufer, an deren Enden sich kleine Tochterrosetten entwickeln. So bildet die Hauswurz in wenigen Jahren dichte halbkreisförmig gewölbte Polster, die ihren eigenen Humus sammeln und aus Gesteinsspalten, auf den Kronen von Mauern oder Türpfosten oder auf Dächern emporwachsen. Die Pflanze vermehrt sich in der Hauptsache vegetativ. Treibt nach Jahren eine kräftige Rosette einen Blütenschaft, stirbt diese anschließend ab. Die Fortpflanzung über Samen gelingt nur unter sehr günstigen Bedingungen, aber in der Sicherung des einmal eroberten Wuchsortes sind die Pflanzen sehr erfolgreich.
Zur Blüte scheint die Rosette in die Höhe zu schießen,
um an der Spitze über einen längeren Zeitraum mehrere Blüten
hervorzubringen. Die Blütenkronblätter sind sternförmig
ausgebreitet, blassrot mit kräftig roter Mittelrippe. Dann folgen
zahlreiche Staubblätter und innen ein Kranz von grünlichen, dicht
aneinanderliegenden aber nicht miteinander verwachsenen Fruchtblättern,
die sich zur Fruchtreife als Balg öffnen, sternförmig nach aussen
biegen und die Samen freigeben. Sie öffnen sich im Sommer bei Trockenheit
und fungieren als Explosionsfrüchte. Schlagen nämlich dicke Wassertropfen
eines Sommergewitters in diesen "Fruchtstern" ein, so werden die Samen
mittels Wasserkraft aus den Rinnen der einzelnen Fruchtbälge herausgeschleudert.
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Geschichte
"Et ille hortulanus habeat super domum suam Jovis barbam. "Auf dem Dach eines Hauses habe jeder Gärtner die Dachwurz. Es klingt fast wie ein Befehl und steht so im Capitulare, nachdem alle Pflanzen genannt sind und abschließend nur noch die Frucht- und Obstgehölze folgen. Anton von Perger berichtet in den Deutschen Pflanzensagen, dass die Hauswurz, auch Donnerbart oder Gewitterkraut genannt, dem Donar (bei den Römern Jupiter) geweiht war und "dem Hause, auf welchem sie wachse, weder Blitz noch Donner schaden können." Zog ein Gewitter auf, so legte man neben Palmkätzchen (Blütenkätzchen der Salweide, die anstelle von Palmblätter am Sonntag vor Ostern bei der Palmenweihe gesegnet wurden) mit Hauswurzrosetten, die am Johannistag vom Dach gesammelt wurden, auf die Kohlen des Herdes. Diese Rituale und das houseleek (Hauslauch) auf dem Dach sollten das Unglück bannen. Vielleicht liegt dieser magischen Vorstellung der Gedanke zugrunde, dass Donar / Jupiter als blitzeschleudernder Herrscher der Götterwelt Häuser, auf denen sein Bart wächst deshalb nicht in Schutt und Asche legt, weil er nicht einen deutlich sichtbaren Teil seiner eigenen Männlichkeit zugrunde richten will. Perger berichtet in den Pflanzensagen auch von der Kehrseite des Dachwurzbannes für das Haus, denn man dürfe diese "nicht zur Blüthe kommen lassen, sonst stirbt jemand in demselben."
Dioskurides empfiehlt den Press-Saft der Blätter mit Rosenöl
vermischt gegen Kopfschmerzen und mit Wein getrunken gegen den "runden
Bauchwurm". Hildegard von Bingen nennt folgendes Rezept gegen die Unfruchtbarkeit
des Mannes: Ganze Blätter in Milch eingelegt und mit Eiern zu einer
Speise gekocht, mehrere Tage hintereinander gegessen. Ferner wird der Saft
der Blätter gegen Entzündungen der Augen und bei tauben Ohren
angewendet. Traditionell hat man die Blätter bei Zahnschmerzen gekaut
und den Saft bei Nasenbluten geschnupft.
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Heutige Bedeutung und Verwendung
Der aus den Blättern hergestellte Saft enthält Gerb- und Schleimstoffe, Äpfel- und Ameisensäure. Von säuerlich, salzigem Geschmack wirkt er adstringierend, kühlend, beruhigend und harntreibend. Eine Überdosierung verursacht bei innerlicher Anwendung Erbrechen und Durchfall. Wie andere adstringierende und lindernde Hausmittel zieht Dach(Haus)wurz die Haut einerseits zusammen, macht sie aber auch weich. Äußerlich aufgetragen fördert es die Heilung vieler Hautbeschwerden wie Verbrennungen, Insektenbisse und –stiche, Wunden, Furunkel und Hühneraugen.
Die Bedeutung als Zierpflanze für die in ihrer Beliebtheit sehr
gestiegenen, weil als pflegeleicht geltenden, Steingärten übertrifft
heute alle anderen Verwendungen dieser Pflanze. Entsprechend haben die
Gärtner viele Sorten in den verschiedensten Formen und Farben selektiert.
Eine sehr schöne Variante zur Kultur im Steingarten ist die Pflanzung
in Topfpyramiden (zuunterst ein großer Tontopf, in den turmartig
kleinere Tontöpfe geschichtet werden), worüber der bekannte Garten-Autor
Jürgen Dahl in seinen Nachrichten aus dem Garten berichtet. Er erzählt
auch von dem hübschen Brauch im Engadin, ein Glas Wasser mit einem
der säuerlich-fleischigen Blättchen der Hauswurz zu verfeinern.