Abendexkursion in der Aachener Innenstadt am 2. Sept. 2022
 

Von Natur aus sind Gesellschaften kurzlebiger Pionierpflanzen auf seltene Sonderstandorte wie Erdanrisse, Anschwemmungen an Flussufern oder Lagerplätze von Wildtieren beschränkt. Durch den Menschen wurden die potentiellen Wuchsorte dramatisch vervielfacht. Besonders in Städten finden sich Brachen, Baumscheiben und gar Pflasterritzen, in denen diese Vegetation existieren kann.

Wie immer gibt es in solch naturfernen Biotopen besonders viele Neophyten. Das wurde in diesem Dürresommer besonders deutlich. Heimische Arten wie Einjähriges Rispengras oder Mauer-Gerste konnten nur noch als braunes Heu demonstriert werden. Das für Pflasterritzen besonders typische Silber-Birnmoos (Bryum argenteum) war gar nicht mehr zu erkennen. Dafür gab es noch jede Menge Gräser, die im weitesten Sinn als Hirsen durchgehen.

Es ging los am Platz vor der Kirche St. Peter am Bushof. Hier wurde die Grüne Borstenhirse (Setaria viridis, links) demonstriert. Auch kam hier der in Aachen inzwischen allgegenwärtige Gehörnte Sauerklee (Oxalis corniculata) vor. Auf dem Bürgesteig davor wuchs das Kahle Bruchkraut (Herniaria glabra, unten)

Dieses Nelkengewächs wird von Laien wohl kaum als solches erkannt. Es gehört zu einer Unterfamilie mit durchweg niederliegendem Wuchs, unscheinbaren Blüten und vor allem wechselständiger Beblätterung. Aus der selben Unterfamilie ist auch das Nagelkraut (Polycarpon tetraphyllum), das SAVELSBERG vor vielen Jahren erstmals für den Sandkaulbach beschrieben hat, wo es immer noch zahlreich anzutreffen ist.

Davor, nur auf der anderen Straßenseite zur Peterskirche, wuchs im Pflaster und in einer Baumscheibe die Ungefleckte Wolfsmilch (Euphorbia prostrata). Das ist ein Neufund für Aachen und wieder mal ein Beleg für den Klimawandel. Die Art stammt aus dem tropischen und subtropischen Amerika.

Dass Arten in Pflasterritzen alle so ähnlich aussehen, ist ein Beispiel für Konvergenz. Die extremen Standortbedingunfgen erfordern einfach kriechenden Wuchs, kleine Blätter und erlauben keine auffälligen Blüten. Deshalb sieht auch die mit Abstand häufigste Art solcher Stellen, der Sand-Vogelknöterich (Polygonum arenastrum ssp. calcatum) im Habitus genauso aus. Erst mit einer guten Lupe erkennt man an den Blüten und Früchten die Unterschiede, die eine Zuordnung zur richtigen Familie erlauben.         

 

Der weitere Weg führte dann durch die Mefferdatisstraße an die Baustelle des ehemaligen Parkhauses Büchel heran. Hier konnte man imposante Exemplare des Weißen Berufskrauts (Erigeron sumatrensis) bestaunen. An freien Standorten fällt die Art durch ihre schiere Göße auf. Vom allgegenwärtigen Kanadischen Berufkraut (Erigeron canadensis) lässt sie sie am einfachsten anhand der Behaarung der Blätter unterscheiden. Anscheinend ist die Art oft übersehen worden und schon viel weiter verbreitet, als es z.B. die Karte bei foraweb.de wiedergibt.

Typisch für solche Stellen ist auch der Schwarze Nachtschatten (Solanum nigrum, unten fruchtend).

 

In trockenen, warmen Pflasterritzen findet man nur noch den Trittfesten Sand -Vogelknöterich (Polygonum arenastrum ssp. calcatum) und als Begleiter wärmeliebende Gräser wie Kleines Liebesgras (Eragrostis minor), das diesmal wegen der Dürre ausgefallen ist, und diverse Hirseartige wie z.B. rechts die Blut-Fingerhirse (Digitaria sanguinalis). Die entsprechende Gesellschaft heißt Polygonetum calcati.

Neben dem wohl aufgrund der Dürre nicht mehr auffindbarem Birnmoos ist das Niederliegende Mastkraut (Sagina procumbens, links) die Charakterart des Bryo-Saginetums, der typischen Gesellschaft von Pflasterritzen. Allerdings scheint auch hier der Klimawandel eine Verschiebung herbeizuführen.

In einer Baumscheibe am Alexianergraben wächst der Zweifelhafte Ziest (Stachys x ambigua, links). Der ist aus der Kreuzung von Wald-Ziest (S. sylvatica) mit dem Sumpf-Ziest (S. palustris) entstanden. Bisher war für Aachen nur ein Fund von BOMBLE aus dem Stadtwald angegeben, wo die Sippe zwischen den Eltern vorkommt. Es handelt sich da offensichtlich um einen Primärbastard. Ganz anders am Alexianergraben. Hier ist weit und breit keine Spur von den Elternarten zu finden. Offensichtlich kann sich die Sippe auch eigenständig ausbreiten und das auch in sehr viel naturferneren Biotopen als die Eltern.

Über Annaviertel und Jakobstraße ging es zurück zum Markt. Kurz davor wurde das Mauer-Glaskraut (Parietaria judaica, unten) demonstriert. Dieses Brennnesselgewächs wurde vermutlich von den Römern unbeabsichtigt mit dem Weinbau eingeschleppt und ist an Weinbergsmauern z.B. am Mittelrhein verbreitet. Wie die Art nach Aachen gekommen ist, ist unbekannt. Das Vorkommen existiert jedenfalls schon sehr lange.

Um halb Sieben endete die Runde dann am Markt in feuchtfröhlicher Runde.

Gesamtliste der angesprochenen Arten:

Atriplex sagittata (Glanz-Melde)
Datura stramonium (Stechapfel)
Digitaria sanguinalis (Blut-Fingerhirse)
Echinochloa crus-galli (Echte Hühnerhirse)
Erigeron (Conyza) canadensis (Kanadisches Berufkraut)
Erigeron (Conyza) sumatrensis (Weißes Berufkraut)
Euphorbia (Chamaesyce) prostrata (Ungefleckte Wolfsmilch)
Galinsoga quadriradiata (Zottiges Franzosenkraut)
Herniaria glabra (Kahles Bruchkraut)
Hordeum murinum (Mauer-Hirse)
Juncus tenuis (Zarte Binse)
Melissa officinalis (Zitronen-Melisse)
Oxalis corniculata (Gehörnter Sauerklee)
Panicum miliaceum (Echte Hirse)
Parietaria judaica (Mauer-Glaskraut)
Poa annua (Einjähriges Rispengras)
Polycarpon tetraphyllum (Nagelkraut)
Polygonum arenastrum ssp. calcatum (Sand-Vogelknöterich)
Sagina procumbens (Niederliegendes Mastkraut)
Setaria viridis (Grüne Borstenhirse)
Solanum nigrum (Schwarzer Nachtschatten)
Stachys x ambigua (Zweifelhafter Ziest)