Exkursion in den Schweizer Nationalpark vom 23. bis 31. Juli 2011
 

 

Unser Quartier war in Zernez im Unterengadin (Kanton Graubünden) im Inntal am Rande des Nationalparks. (Engadin bedeutet übrigens so viel wie Tal des Inn, der auf rhätoromanisch En heißt). Der Blick geht nach Süden ins Oberengadin; die nächsten bedeutenden Ortschaften in dieser Richtung sind Samedan und St. Moritz. Der weiße Betonklotz schräg links hinter der Kirche ist das neue Nationalparkzentrum mit der Nationalparkverwaltung, einer Ausstellung zum Nationalpark und Touristeninfo. Links davor liegt Schloss Wildenburg-Planta mit dem massiven grauen Wehrturm. Heute ist dort das Gemeindezentrum untergebracht.

Von der Hauptdurchgangsstraße oben rechts von der Kirche sieht es in der Gegenrichtung so aus (Abb. links). Auch wenn die verkehrstechnische Bedeutung vieler Alpenpässe durch zahlreiche Tunnelbauten in den letzten Jahren abgenommen hat, ist Zernez immer noch ein regionaler Verkehrsknoten.


 

Die Anfahrt konnte als Tagesfahrt durchgeführt werden. So ging es am 24. Juli direkt los. Auf dem Programm stand eine leichte Tour zum Einlaufen und Pflanzen kennenlernen. Sie führte vom Bahnhof Zernez nach Süden unter der Rhätischen Bahn hindurch das Inntal entlang.

Laserpitium krapfii ssp. gaudinii
Am Ausgang des Val Tantermozza, einem tief eingeschnittenen Tal, das aus dem Nationalpark zum Inn führt, wurde aus der gemütlichen Wanderung eine echte Bergwanderung. Den eigentlich harmlosen Weg hatten etliche Rutschungen und Geröllabgänge verlegt, so dass einzelne Stellen Trittsicherheit verlangten. Wendepunkt war die Chamanna Tantermozza, die heute als Diensthütte der Nationalparkwächter dient. Der anschließende obere Teil des Val Tantermozza ist für die Öffenlichkeit komplett gesperrt.

Botanisch erwähnenswert ist der Fund von Frauenschuh. Natürlich waren die Pflanzen aber längst verblüht. An Stellen, wo das Geröll zur Ruhe gekommen ist, wuchsen Felsrasen. Hier konnte das Schweizer Laserkraut (Laserpitium krapfii ssp. gaudinii, links) angetroffen werden.

 

 

Am nächsten Tag folgte die härtestete Tour: insgesamt schlappe 1000m zur Chamanna Cluozza rauf und runter. Die Chamanna Cluozza ist die einzige bewirtschaftete Hütte im Nationalpark.

Das Val Cluozza ist im unteren Teil schluchtartig eingekerbt und nicht begehbar. Deshalb führt der Wanderweg zunächst stetig auf der Südseite des Tals nach oben. Am Sarasinstein, einem Denkmal für einen der Gründer des Nationalparks, eröffnet sich zum ersten Mal der Blick ins Val Cluozza. Der Himmel war noch trübe vom Regen in der Nacht. Genau an der Absturzkante ins Tal wuchs Rundblättriger Hauhechel (Ononis rotundifolia). Der unscharfe Berg im Hintergrund ist übrigens ein namenloser Vorgipfel. Erst dahinter folgen einige 3000er.

Ononis rotundifolia


Der Aufstieg war zwar lang, führte aber immer durch Wald. Danach ging es auf etwa 2100m ü.NN den Südhang des Val Cluozza entlang. Es gab auch hier wieder mehrere Geröllfelder mit Rutschungen, größtenteils war der Hang aber durch Latschengebüsche stabilisiert wie auf dem untern Bild zu sehen.

Die Chamanna Cluozza liegt übrigens im Wald versteckt hinten auf der linken Talseite.


Das hatte die unangenehme Folge, dass man von den mühsam erkämpften 2100m wieder auf 1800m runter musste, um den Bach zu überqueren. Das Bild zeigt die Aussicht von der Brücke. Soweit sich das nach der Karte erschließen lässt, ist der breite Berg in der Mitte der Piz Murter, rechts folgen dann die 3000er Piz dal Diavel und Piz da l'Acqua.


Auf dem Rückweg machte ein Teil der Gruppe noch einen kurzen Schlenker über die Hütte Bellavista. Die kann tatsächlich als Ferienwohnung gemietet werden. Ca. 600m über Zernez gelegen, dürfte sich das Besorgen der Frühstücksbrötchen allerdings schwierig gestalten...

 

 


Senecio squalidus ssp. rupestris Am 26. Juli brachte uns die Rhätische Bahn etwa 10km südlich nach S-chanf, von wo man ins Val Trupchun kommt, das für seinen Wildreichtum bekannt ist. Auch hier sorgen Seitenbäche für reichliche Geröllschüttungen. Das ist der typische Standort für das Felsen-Greiskraut (Senecio squalidus ssp. rupestris). Im Unscharfen ist links auch noch die Tafel mit den grünen Gebots- und Verbotspiktogrammen zu erkennen, die den Anfang des Nationalparks markiert. Der Gipfel im Hintergrund ist der Piz Fier, auch ein 3000er.

Auf rasigen Abschnitten im Tal wurde der Feld-Enzian (Gentianella campestris) angetroffen (Abb. unten).

Gentianella germanica

   


An der ehemaligen Schweinealp Purcher hat der Bach eine sogenannte Spezialfalte im Fels angeschnitten. So bezeichnen Geologen kleinräumige Faltungen im Gestein, die sich zwar nicht im Gelände als Gipfel oder Täler bemerkbar machen, aber doch Zeugen für die ungeheuren Kräfte sind, die die Alpen aufgetürmt haben. Oben das Tal in der Totalen, rechts ein Ausschnitt des Felsens in Blickrichtung links vom Bach. Hier soll es auch Einschlüsse von Natriumchlorid (Kochsalz) geben; da man an die Wand aber nicht direkt heankommt, war das nicht eindeutig nachzuvollziehen.

Wendepunkt waren die offiziellen Rastplätze an der Alp Trupchun.

Der Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes) ist der Symbolvogel des Nationalparks und war auch im Val Trupchun zu sehen. Nur zum Fotografieren still sitzen ist halt nicht seine Stärke...



Am späten Nachmittag ließen sich dann auch wirklich noch Hirsche (Cervus elaphus) blicken, oben ein Halbstarkenrudel, unten Hirschkühe.

 

 

Der nächste Tag stand zur freien Verfügung. Ein Teil fuhr über den Ofenpass zum Val Mustair. Die meisten machten eine Tour mit der Rhätischen Bahn, deren Trassen über spektakuläre Kunstbauten führen, rechts ein Bild von der Nordrampe der Albulabahn, die heute zum Unesco-Weltkulturerbe gehört.

 

 

Laserpitium halleri Am 28. Juli ging es auf einem Weg parallel zur Ofenpassstraße bis zu einer Ova Spin genannten Zwischenhöhe hinauf. In der Nacht hatte es heftig geregnet und der anscheinend wenig begangene Weg war stellenweise unerwartet schwierig. Dafür war die Botanik sehr reichhaltig. Aus Platzgründen sei hier nur die vegetationsgeographisch interesanteste Art vorgestellt: Hallers Laserkraut (Laserpitium halleri).

 

Am 29. Juli sollte es dann richtig in die alpine Vegetation gehen. Dazu bedurfte es des Postbusses, der in der Schweiz übrigens Postauto heißt. Ausgangspunkt war das Hotel Il Fuorn am Ofenpass. Das Foto ist erst am Nachmittag bei der Rückkunft gemacht worden. Da war das Wetter schon viel besser geworden und der Bus steht an der Haltestelle Richtung Zernez.

Im Nationalpark liegt die Baumgrenze ungewöhnlich hoch, eben wirklich an der klimatischen Baumgrenze. In vielen Bereichen der Alpen ist die Baumgrenze durch menschlichen Einfluss (Almwirtschaft, Wintersport usw.) deutlich herabgedrückt worden. Das Hotel liegt auf knapp 1800m ü.NN. Also musste man erstmal durch Wald aufsteigen.

Linnaea borealis Das war zunächst ein nordexponierter Kiefernwald parallel zur Passstraße. In der feuchten, moosreichen Krautschicht war das Moosglöckchen (Linnaea borealis) häufig. Diese Pflanze kommt sowohl in alpinen Kiefernwäldern wie in entsprechenden Wäldern am Polarkreis vor. Das Moosglöckchen war die Lieblingsblume Linnés. Deshalb ist die Gattung ihm zu Ehren später Linnaea genannt worden. Überregional ist die Art ziemlich selten, konnte aber bei unseren Wanderungen im Nationalpark mehrfach angetroffen werden.

 

Vom "Parkplatz7" ging es dann in nördlicher Richtung das Val dal Botsch hoch. Zunächst führte der Weg in geringer Steigung durch einen Kiefernwald. Im Nationalpark findet keinerlei Waldwirtschaft mehr statt. Höchstens auf den markierten Wanderwegen werden querliegende Bäume soweit freigesägt, dass der Weg wieder passierbar ist. Deshalb ist hier auch ein einfacher Waldweg nicht ganz ohne Risiko.


Etwas weiter oberhalb haben Geröll- und Schneelawinen die Hänge "rasiert".

Über der Baumgrenze folgen alpine Urrasen, hier hauptsächlich Polsterseggenrasen (Caricetum firmae). Die Wasserrunsen sind allerdings starker Erosion ausgesetzt, so dass man sich hier ständig den Weg neu suchen muss.

Soldanella alpina

Ob es an der Witterung lag oder an der Jahreszeit, allzuviel Blüten wurden nicht angetroffen. Bei der Suche "a la Trüffelschwein" auf Bodenhöhe konnten eine ganze Menge Arten in vegetativem Zustand gefunden werden, aber ein paar blühende Highlights gab es doch. Am spektakulärsten ist das reichlich vorkommende Edelweiß (Leontopodium alpinum). Die Art ist eine der wenigen, die nicht durch ökologische Veränderungen zurückgegangen sondern nur durch menschliche Nachstellung selten geworden ist. Im Nationalpark ist das seit ca. 100 Jahren unterbunden worden, deshalb gibt es die Art hier noch relativ häufig.
Leontopodium alpinum


Euphrasia salisburgensis Eher was für die Botanikfreaks ist der Salzburger Augentrost (Euphrasia salisburgensis). Die durch die starke Anthocyan-Färbung gekennzeichnete Art, was sich sowohl in den rötlichen Blüten wie den rotbraun gefärbten Blättern äußert, ist zum ersten Mal in unseren Alpenexkursionen gefunden worden.

Oben: Blick zurück ins Val dal Botsch.

Ab der Mitte des Wegs teilte sich die Gruppe. Manche gingen auf bequemem Weg zum Margunet, einem Aussichtsgipfel; manchen gingen ganz bis zur Scharte hoch und einige kehrten auf dem Urrasen im Val dal Botsch um. Am Ende trafen sich alle wieder am Hotel Il Fuorn, wo man sich die Zeit bis zur Rückfahrt mit dem Bus bei einer zünftigen Vesper mit Käse aus dem Nationalpark vertreiben konnte.

Gentiana terglouensis

 

 

Am letzten Tag gab es kein "offizielles" Programm mehr. Der größte Teil machte eine Halbtageswanderung durch das Inntal nördlich Zernez. In der Nacht hatte es heftig geregnet. Dadurch wurde ein etwas verfallener, aber eigentlich einfacher Wegabschnitt tückisch glatt.

 

 

Vor der Abfahrt am 31. Juli wieder das traditionelle Gruppenfoto am Bahnhof Zernez.