26.Nov.2009
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Apfelorakel und Baumfüttern- Apfelbräuche im Dezember
Angela Ertz
Wenn die letzten Äpfel geerntet und die Blätter gefallen sind, genießt der Apfelbaum in unserem Garten bis zur Blüte im Frühling eher wenig Aufmerksamkeit. Das war in früheren Zeiten anders. So tauchen rund um Weihnachten und Neujahr sowohl Apfel als auch Apfelbaum in Symbolik, Mythen und verschiedensten Bräuchen auf.
Den Beginn bildete die sogenannte Andreasnacht (die Nacht auf den 30. November). Dies war eine traditionelle Orakel- bzw. „Los“-Nacht für Unverheiratete. in der man mit verschiedenen Methoden versuchte, etwas über den zukünftigen Ehemann herauszufinden. Neben Bleigießen und Pantoffelwerfen finden sich im deutschsprachigen Raum u.a. auch zwei Apfelorakel, denn das Teilen eines Apfels galt seit dem Paradies als Zeichen der Liebe: So erbat sich ein Mädchen in der Andreasnacht von einer Witwe einen Apfel, teilte ihn schweigend in zwei Hälften, aß die eine davon und legte die andere unter das Kopfkissen, um den Zukünftigen im Traum zu sehen.
In einem anderen Orakel schälte man einen Apfel im Ganzen, und warf die Schale über die Schulter. Auf dem Boden angekommen bildete die Apfelschale dann den Anfangsbuchstaben des Bräutigams.
Am Andreastag wurden außerdem in einigen Regionen auch schweigend Obstzweige geschnitten und wie am Barbaratag (4.Dezember) in Wasser gestellt, sodass sie an Weihnachten blühten. Am Verhältnis von Blüten- zu Blattknospen ließ sich damit möglicherweise schon ein erster Hinweis auf die potentielle Ernte im nächsten Jahr erhalten. Frisch ausgetriebene grüne Zweige als Symbol für das junge Jahr verschickten übrigens schon die Römer als Neujahrsgruß an Freunde.
Ein weiteres für Brauchtum und Aberglaube bedeutendes Datum war die sogenannte Thomasnacht vor der Wintersonnenwende am 21. Dezember. In dieser längsten Nacht des Jahres konnten nach den damaligen vorchristlichen Vorstellungen die Geister besonders lange und intensiv wirken. Außerdem bildete sie den Beginn der ´zwölf Nächte´, die teilweise auch als‚ ´Raunächte´ bezeichnet wurden. Die mystische Bedeutung dieser Nächte leitet sich aus dem Umstand ab, den damaligen Mondkalender mit seinen 354 Tagen in Einklang mit dem Sonnenjahr (365 Tage) bringen zu müssen. Folglich mussten jeweils 11 Tage (bzw. 12 Nächte) eingeschoben werden, die sich damit ‚außerhalb der Zeit’ und nach damaliger Vorstellung auch außerhalb der Naturgesetze befanden. In Oberösterreich steckte man sich in der Thomasnacht einen Apfel unter die Achsel und trug ihn bis in die Christnacht. Dann trat man beim Ave-Geläut vor das Haus und begann den Apfel zu essen. Der ersten Person, die vorüberging, gab man eine Spalte dieses Apfels, denn diese Person sollte einen großen Einfluss auf das Schicksal des Essenden haben. Tat man dies nicht, drohte ein großes Unglück.
Einige Heilige werden mit Äpfeln dargestellt. Der heilige Nikolaus (6. Dezember) trägt als Wahrzei-chen drei goldene Äpfel, weil er sie in der Legende drei armen Mädchen ins Haus warf. Das erinnert frappierend an das Bildnis der germanischen Götting Freya mit den drei goldenen Äpfeln in der Linken, das Karl der Große in Magdeburg zerstören ließ. Wie bei vielen Mythen gibt es auch beim Apfel eine unbewusste oder bewusste Vermischung von vorchristlichen, germanischen und christlichen Inhalten und Deutungen.
Nicht nur in Avalon (Apfelland), dem Paradies der Kelten, sondern auch im biblischen Paradies spielt der Apfel bekanntlich eine wichtige Rolle, obwohl der ‚Baum der Erkenntnis’ in der Bibel gar nicht explizit als Apfelbaum bezeichnet wird. Seitdem verkörpert er die sogenannte ´Ursünde´. Als vollkommenes Abbild der Welt wurde er spätestens seit Alexander dem Großen in Gestalt des Reichsapfels aber auch zum Symbol für königliche Macht. Der Legende nach gelangte der goldene Reichsapfel von Alexander dem Großen an Melchior, den König von Arabien. Dieser zog mit Kaspar und Balthasar nach Bethlehem und reichte dem neugeborenen Heiland den goldenen Apfel. Kaum hatte dieser ihn aber berührt, so zerfiel er: Das irdische Reich musste dem unvergänglichen himmlischen weichen!
Nicht nur mit der Frucht, sondern auch mit dem Apfelbaum sind einige Bräuche rund um Neujahr verknüpft, die alle den Baum zum reichen Tragen anregen sollen. So wurden Bäume am Heiligen Abend oder zu Neujahr mit Stroh umwickelt (im Ursprung vermutlich ein Getreideopfer), mit Resten vom Weihnachtsessen ‚gefüttert’, mit Krapfen gefülltem Mund geküsst, geschüttelt, beklopft oder von Knechten in der Silvesternacht umtanzt. Zu Neujahr wurden den Apfelbäumen gute Wünsche zugerufen bzw. denen, die schlecht getragen haben, zur Strafe Knochen an die Zweige gehängt. Aus all diesen Bräuchen ist das vorchristliche Weltverständnis zu erkennen, in dem die ganze Welt belebt war, Pflanzen Empfindungen zugesprochen wurde und Menschen sich in Pflanzen verwandeln konnten. Demzufolge wurde der Obstbaum auf der Wiese auch wie eine Art Familienmitglied betrachtet, gelobt, bestraft, umschmeichelt und erzogen. Einige Bräuche haben aber aus botanischer Sicht einen durchaus sinnvollen Kern: So holten Knechte im Winter bei Totengeläut schweigend aus einem Bach einen großen Stein und legten diesen zwischen die Zweige eines Apfelbaumes. Nicht selten entwickelten sich an diesen Zweigen tatsächlich besonders viele Früchte. Allerdings waren dafür wahrscheinlich weder Glocken, Bach noch Schweigen verantwortlich, sondern das Herabbiegen der Zweige, das auch heute noch in der Obstbaumerziehung praktiziert wird.
Ohne Furcht vor Hungersnot, Gotteszorn oder bösen Geistern haben wir heute die Freiheit solche alten Bräuche da wiederzubeleben, wo sie gerade ins Konzept passen. Schade wäre es jedenfalls, wenn sie ganz in Vergessenheit gerieten. Wer damit gar nichts im Sinn hat, aber etwas für die Apfelernte in den nächsten Jahren tun möchte, kann alternativ noch bis März an frostfreien Tagen seinem Baum einen Erziehungsschnitt gönnen oder sogar einen Baum pflanzen- vielleicht eine alte Sorte…
zuletzt bearbeitet am 8.VIII.2010