19.Nov.2009

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Der Ginkgo: Er ist ein Mahnmal für Umweltschutz und Frieden

Mechtild Feese


Im Jahr 2000 erklärte das „Kuratorium Baum des Jahres“ den Ginkgo zum „Baum des Jahrtausends“, nicht weil er die einzige überlebende Art, ein lebendes Fossil, der Ginkgophythen ist, die es mit der größten Artenzahl schon vor 200 Millionen Jahren gab, sondern weil er als Mahnmal für Umwelt-schutz und Frieden gesehen wird.
Frische Blumen im November sind meistens Astern und Chrysanthemen, weil sie Tau, Nebel und leichte Nachtfröste vertragen. Chrysanthemen gibt es in vielen Formen und Farben. Sie sind von unseren Friedhöfen nicht mehr wegzudenken und sind doch erst seit ungefähr hundert Jahren allgemein in Europa bekannt. Die Chrysantheme stammt aus China, wo sie die Tempel schmückte und als ein wichtiges Thema in der Kunst immer wieder dargestellt wurde. Aber eigentlich ist sie die Blume Japans. Sie wurde zum Symbol des Kaisers und des ganzen Landes und ihre vielfältigen Erscheinungsformen sind auf das Können der japanischen Züchter zurückzuführen. Bei uns ist die Chrysantheme in den letzten hundert Jahren zur „Herbstblume“ und zur „Friedhofsblume“ geworden und hat als Zeichen für das Gedenken an die Toten und die Liebe über den Tod hinaus den Rosmarin aus dem alten Lied ersetzt.

Vier Ginkgobäume standen 1945 in Hiroshima nahe dem Epizentrum der Detonation der Atombom-be. Sie wurden zerstört, trieben aber im nächsten Jahr wieder aus, blühten und haben bis heute überlebt.

Der Ginkgo besitzt große Widerstandskraft. Er ist unempfindlich gegenüber Luftschadstoffen und Streusalz, wird nicht von Pilzen, Bakterien oder Viren befallen, stellt nur geringe Ansprüche an Boden und Klima, erträgt Temperaturen von -30 Grad und hat ein sehr starkes Ausschlagsvermögen. Er kann sehr, sehr alt werden, bis zu 1000, ja sogar 4000 Jahre, wie manche Überlieferungen aus Ostasien berichten, deren Wahrheitsgehalt noch nicht überprüft ist.

Der Ginkgo passt sich hervorragend den Gegebenheiten an und ist deshalb in den letzten Jahrzehnten zum widerstandsfähigsten Straßenbaum beispielsweise in Manhattan geworden. Wie in anderen Großstädten säumen auch in Aachen viele Ginkgos die Straßen: eine Reihe der Bäume steht neben dem Kaufland, fünf jüngere Exemplare auf dem Kapuzinergraben schräg gegenüber der alten Hauptpost, wo man ihren schlanken aufrechten Wuchs und die kegelförmigen Kronen – typisch für junge Bäume – bewundern kann. Eine weitere Eigentümlichkeit kann man um diese Jahreszeit feststellen: Der Ginkgo ist zweihäusig, d.h. männliche und weibliche Blüten sind auf männliche und weibliche Bäume verteilt. Auf dem Kapuzinergraben stehen also vier „Jünglinge“ und ein reiferes Mädchen, zu unterscheiden nur durch die mirabellenartigen Früchte, die unter dem Baum liegen, der der Post am nächsten ist. Diese Früchte stinken unglaublich und man vergisst den Geruch nie. Aus diesem Grunde werden überwiegend männliche Ginkgos aus Stecklingen gezogen und angepflanzt.

Früher, besonders im 19. Jahrhundert setzte man die Bäume solitär in Anlagen und Schlossparks, wo sie 30 bis 40 Meter hoch werden und mit dem Alter eine breite ausladende Krone entwickelten. Wunderschöne große ältere Ginkgos gibt es im Burtscheider Kurpark und vor und zwischen dem Super-C und dem alten Verwaltungsgebäude der Universität am Templergraben. Einer davon ist eine stattliche Dame, deren sattgelbes Herbstlaub uns schon von weitem entgegen leuchtet.

Im Gegensatz zu uns pflanzen die Japaner überwiegend weibliche Bäume an, da sie die Samenkerne, „Ginnan“ genannt, gegart und geröstet in ihrer Küche verwerten. Auch in China gelten sie als Delikatesse.

Bei uns wird der Ginkgo als Heilmittel genutzt. Seine Blätter enthalten eine hohe Konzentration Ginkgoliden und Bilobaliden, deren molekularer Aufbau so komplex und kompliziert ist, dass noch keine synthetische Herstellung gelang. Die Inhaltsstoffe wirken auf die kleinsten Kapillargefäße ein und fördern die Durchblutung. Sie schützen und erhalten Gehirnzellen, verbessern die Gedächtnis-leistung und werden heute eingesetzt bei der Behandlung von Demenzformen, depressiven Ver-stimmungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Glaukom, Tinitus und „Schaufensterkrankheit“. Das be-kannteste Ginkgo-Präparat dürfte wohl Tebonin sein. Daneben gibt es aber viele andere Medikamente auf dem Markt.

In Urzeiten wuchs der Ginkgo über die Nordhälfte der Erde im gemäßigten Klima, heute findet man nur noch wilde Restbestände in einigen abgelegenen Tälern chinesischer Provinzen. Der Name leitet sich her vom chinesischen Yin Xing = Silberaprikose oder japanisch Gin kyo, was Silberfrucht bedeutet. Durch einen Rechtschreibfehler wurde aus dem y ein g, also Ginkgo. Andere Namen erfand man aufgrund der Blattformen: Mädchenhaarbaum, Fächerbaum oder Entenfußbaum.

Die Form des Blattes von Ginkgo biloba ist einzigartig unter allen Bäumen: Sie ähnelt einem breiten Fächer an einem 4-10 cm langen Stiel. In der Mitte befinden sich oft Lappungen oder Einkerbungen. Die Blattnerven gehen gabelig und unverzweigt nach zwei Seiten auseinander (dichotomisch), wes-halb der Ginkgo auch zu den Nadelgehölzen gerechnet wurde. Die Farbe wechselt von hell- über dunkelgrün zu gelb im Herbst. Der Baum wirft die Blätter ab.

Die männlichen und die weiblichen Blüten erscheinen im März und sind unscheinbar. Die gelben bereiften Früchte, deren fleischige Außenhülle so stark nach Buttersäure riecht und die stark reizende Säuren enthält, fallen im Oktober/November ab. In der Mitte haben sie einen holzigen Kern mit einem Samen darin. Im Winter kann man den Ginkgo gut an seinem typischen Wuchs und seiner Silhouette erkennen. In der Regel hat er zwei Haupttriebe, von denen einer stärker ausgebildet ist. Das Astwerk besteht aus steil aufstrebenden Langtrieben, die bis zu einem Meter pro Jahr wachsen können. An denen sitzen rundliche knubbelige Kurztriebe, die nur einige Millimeter im Jahr wachsen. An ihnen bilden sich Blüten und Blätter. Letztere wachsen quirlig oder schraubig an den Trieben hoch. Die Rinde des Stammes ist braun und korkig und wird später rissig. An sehr, sehr alten Bäumen bilden sich - allerdings höchst selten – brustförmige Anschwellungen an der Unterseite der Äste, die „Tschitschis“. Sie wachsen auf den Erdboden hinunter und bewurzeln sich. In Japan werden diese Bäume als Heiligtümer verehrt. Ihnen werden kraftspendende und lebensverlängernde Eigenschaften zugeschrieben, und Frauen pilgern zu ihnen und erbitten reichen Kindersegen.

Wegen seiner Zweihäusigkeit, seiner zwei Wuchsformen in der Jugend und im Alter und wegen der zweigeteilten Blattform wurde der Ginkgo auch zum Symbol von Ying und Yang, für die Einheit von zwei Gegensätzen, wobei Sanftheit und Weichheit des Blattes für Yin, die Aktivität und Lebenskraft des Wuchses für Yang stehen. Mit der Vielfalt seiner äußeren Erscheinungsformen und der Symbole, die er verkörpert, inspirierte der Ginkgo viele Dichter und Künstler. Auch der 66-jährige Goethe schrieb um 1815 ein Gedicht, das er Marianne von Willemer widmete und später im West-östlichen Diwan veröffentlichte:


GINGO BILOBA

DIESES Baums Blatt der von Osten
Meinem Garten anvertraut
Gibt geheimen Sinn zu kosten
Wie's den Wissenden erbaut.

Ist es Ein lebendig Wesen
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es Zwei die sich erlesen
Daß man sie als Eines kennt?

Solche Frage zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Daß ich Eins und doppelt bin.


 

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zuletzt bearbeitet am 8.VIII.2010