17.Juni 2010

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Erdbeere – eine paradiesische Frucht. Rot wie die Liebe, süß wie die Sünde

Ruth Gestrich-Schmitz

Erdbeerduft liegt in der Luft. Endlich sind die kleinen roten Früchte auch hierzulande reif. Die Frei-land-Erdbeeren aus der Region sind doch viel aromatischer als die von fern her transportierten Früchte. Besonders Erdbeeren aus biologischem Anbau erinnern mich im Geschmack an die süßen, vollmundigen Früchte aus Mutters Garten. Am besten dran ist natürlich derjenige, bei dem sie im eigenen Garten gedeihen. Bereits in der Antike waren Erdbeeren sehr beliebt: Der römische Dichter Ovid beschreibt die Erdbeeren als Speise der Menschen in einem „Goldenen Zeitalter“.

Im christlich geprägten Mittelalter stellte man sich unter dem himmlischen Paradies einen herrlichen Garten vor, in dem Erdbeeren nicht fehlen durften. Erdbeerblüten, -blätter und -früchte zieren im Dom zu Magdeburg diejenigen Säulen, die man beim Eintreten in den als „Paradies“ bezeichneten Vorraum passiert. Im 15. Jahrhundert findet man Erdbeerpflanzen häufig in Verbindung mit Darstellungen der Gottesmutter Maria. Die weiße Blüte symbolisiert Reinheit und Keuschheit. Das dreiteilige Blatt galt als ein Zeichen der göttlichen Dreieinigkeit, die roten Früchte standen für das Blut Christi.

Verlockungen

In vorchristlicher Zeit standen die Erdbeeren in enger Beziehung zu den Göttinnen der Liebe und Fruchtbarkeit: So waren sie bei den Germanen der Göttin Freya geweiht. Rot wie die Liebe, süß wie die Sünde – Erdbeeren galten im Volksglauben als Ausdruck von Sinnlichkeit, als Symbol für die Verlockung zur Sünde. Zum erotischen Sinnbild trägt natürlich die Ähnlichkeit reifer, roter Erdbeeren mit einer weiblichen Brustwarze bei. Da die Erdbeerpflanze gleichzeitig Blüten und Früchte tragen kann, aber auch weil die Blüten weiß sind wie die Unschuld und ihre Früchte rot wie die Farbe der Liebe, galt sie im Mittelalter als ideales Symbol jungfräulicher Mutterschaft.

Um die Erdbeere ranken sich vielerlei Mythen: Fielen beim Sammeln im Wald Erdbeeren auf den Boden, sollten sie liegenbleiben für die armen Seelen. Um Geister zu besänftigen, opferte man an Wegkreuzungen jeweils 3 Erdbeeren. In Nordamerika glaubten wohl die dort lebenden Indianer, dass die Seelen der Verstorbenen durch die Unterwelt wandeln bis sie eine gigantische Erdbeere finden. Erlagen die Seelen dann der Verlockung des Genusses, war ihnen die Rückkehr ins Irdische nicht mehr möglich.

Verwandtschaft

Erdbeeren sind eine Köstlichkeit, verwandt mit der Rose, der Königin der Blumen. Kennzeichnend für die Familie der Rosengewächse sind Blüten mit fünf Kelch- und fünf Kronblättern, bei der Erdbeere weiß, selten rosa gefärbt. Die Blätter sind dreizählig und in Rosetten angeordnet. Bestäuben fleißige Bienen und andere Insekten die Blüten, wachsen die Blütenböden zu fleischig-saftigen Kegeln heran. Doch was wir so gerne genießen, sind, botanisch gesehen, gar keine Beeren, sondern Sammelnussfrüchte, sog. Scheinbeeren. Sieht man nämlich genau hin, erkennt man auf der Oberfläche des roten Kegels kleine braune Samen, die Nüsschen, die eigentlichen Früchte.

Die Walderdbeere (Fragaria vesca) ist die bekannteste unter den drei heimisch vorkommenden Erdbeeren. Man findet sie vor allem am Waldrand und an Wegböschungen. Mit langen oberirdischen Ausläufern, an deren Knoten bei Bodenkontakt Tochterrosetten entstehen, bildet sie ausgedehnte Teppiche. Die Walderdbeere enthält in Blättern und Wurzeln Gerbstoffe. Als Tee angewendet, helfen sie bei entzündeten Schleimhäuten und bei Magen- und Darmstörungen, besonders bei Durchfall. Reife Walderdbeeren sind sehr reich an Vitamin C und Mineralstoffen.

Die Zimterdbeere (Fragaria moschata) bevorzugt lichte Laubwälder, ist recht wärmebedürftig und trägt überaus wohlschmeckende Scheinfrüchte, die sich nur schwer vom Fruchtboden ablösen. Die Knack-Erdbeere oder Knackelbeere (Fragaria viridis) liebt kalkhaltige, sonnige Magerwiesen. Die grünlich-weißen Scheinfrüchte, nur an der Spitze rot, lösen sich mit einem hörbaren Knacken ab.

Unsere heutige Gartenerdbeere (unter dem Namen Fragaria x ananassa bekannt), deren Stammform der Gärtner und Botaniker Antoine Nicolas Duchesne (1747-1827) entdeckte, ist eine Kreuzung aus zwei aus Amerika stammenden Arten, der Virginischen Erdbeere (Fragaria virginiana) und der Chile-Erdbeere (Fragaria chiloensis), die im 16. bzw. 18. Jh. nach Europa kamen. Das Kreuzungsprodukt vereinte in sich den guten Geschmack der virginischen Erdbeere mit der großen Frucht der Chile-Erdbeere.

Ende des 19.Jhs. begann in Deutschland die erfolgreiche Züchtung von berühmten und heute noch bekannten Sorten mit wohlklingenden Namen wie „Wunder von Köthen“ oder „Schöne Meißnerin“. Prof. Otto Schindler, Gründungsdirektor der Sächsischen Staatslehranstalt für Garten in Dresden-Pillnitz brachte 1925 eine besonders wohlschmeckende Sorte heraus, die er nach seiner Frau „Mieze Schindler“ benannte. Eine weitere sehr bekannte und heute noch geschätzte Sorte ist die ertragreiche, großfrüchtige "Senga Sengana". Die meisten heute im Handel angebotenen Erdbeersorten sind zwar relativ unempfindlich gegen Schimmelpilze, gut transportfähig und haltbar, haben aber meist viel an Aroma eingebüßt. Wer die Möglichkeit hat, sollte im eigenen Garten oder auf dem Balkon einige der wunderbar aromatischen Sorten anbauen, die „das Erlebnis des Genusses einer an Walderdbeeren erinnernden dunkelroten „Königin Luise“, des Pfirsichduftes der hellen „Aprikose“ oder der mit Brombeeren zu vergleichenden Früchte des „Wunders von Köthen“ ermöglichen (Zitat aus dem Buch „Erdbeeren für Prinzessinnen“).


 

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zuletzt bearbeitet am 10.IX.2010