9.Sept.2010

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Pflanzen in der Architektur. Die Natur liefert vielfältige Vorbilder.

Holger Dux

Der „Tag des offenen Denkmals“ am kommenden Sonntag ist ein guter Anlass, sich eines speziellen Themas anzunehmen: Pflanzen und Architektur. Da denkt man unwillkürlich an die aus Blättern geflochtenen Girlanden und Blütenranken, die in der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts zur Zierde der Fassaden und ornamentalen Pracht der Gebäude - heute passen diese „Schnörkeleien„ nur noch selten in das Bild moderner Architektur - angebracht worden sind. Neben solchen Kunstwerken stehen gleichberechtigt üppig wuchernde Fassadenkleider aus Efeu und wildem Wein.

Die Häuser, die sich hinter einem dichten Blätterüberzug verstecken, wirken auf den Betrachter romantisch und verwunschen. Heute hat man den Wert dieser natürlichen Dämmmaterialien erkannt. Auf der Kehrseite stehen die Beschädigungen der Fassaden durch Haftwurzeln und Ranken. So hat eben alles seine zwei Seiten.

Der Weg der Pflanzen in der Architektur lässt sich sehr weit in die Vergangenheit zurück verfolgen. Nicht erst im Klassizismus, sondern schon in der Renaissance ab dem 14. Jahrhundert tauchen Zier-elemente, wie sie schon in der Antike modern gewesen sind, wieder auf. In beiden Epochen hat man auf die Bautradition der Ägypter, der Griechen und der Römer zurückgegriffen. Aus Ägypten stammen die Fabelwesen an den Tischen und Kommoden. Griechen und Römer liefern die Vorbilder für Säulen und Friese. Sie werden seither vielfach abgeändert und sind in jedem besseren Handbuch für Kunsthandwerker zu finden.

Antike Völker haben Skulpturen, Kapitelle und andere sorgfältig behauene Stücke in großen Stück-zahlen hinterlassen. Manches findet man per Zufall. Denn als diese Teile nach 50 oder 100 Jahren aus der Mode gewesen sind, hat man es einfach mit seiner Schmuckansicht nach hinten gedreht und in einer Wand vermauert.

In Griechenland, zur Zeit des korinthischen Stils, entsteht ein ganz neues Kapitell. Es sieht aus, als wenn der Bildhauer das Ende einer Stütze mit dem Übergang zu den Gesimsen und Gewölben als Bündel aus Blättern gestaltete. Erzählt wird dazu eine kleine Geschichte.

Irgendwo ist am Wegesrand ein Weidenkorb stehen geblieben. Sein Besitzer hat, damit der Korb nicht vom Winde verweht würde, eine schwere Steinplatte darauf gelegt. Im Laufe der Jahre sind Akanthus-Pflanzen durch den Korb gewachsen. Wie bei Farnen sind die jungen Blätter an der Spitze spiralförmig aufgerollt. Der größer werdende Trieb dringt durch die teilweise durchbrochenen Wände des Weidenkorbs nach außen und entfaltete nach und nach seine ganze Pracht. So sollen die korinthischen Kapitelle entstanden sein. Sie sind nicht nur an den griechischen Tempeln zu finden und sind nie aus der Mode gekommen.

Die Römer haben sie noch einmal weiterentwickelt und mit weiteren Schmuckelementen als Kompositkapitelle in ihrer Pracht gesteigert. Kannelierte Säulen mit solchen Endungen tragen Decken und Balkone und rahmen die hochherrschaftlichen Zugänge von Schloss und Villa.

Architektur-Theoretiker haben nachgewiesen, dass die ersten Säulen nach Vorbildern aus der Natur entstanden sind. Sie gleichen überdimensionalen Pflanzen und erinnern an Stängel und Knospen. Man kann sie auch mit Bäumen vergleichen. Säulen stützen das Gebäude, indem sie die Last der darüber liegenden Balken tragen. Ihre Basen erinnern an die Wurzeln und schaffen einen stabilen Übergang mit dem Untergrund.

Die ältesten Stützen sind einfach Baumstämme, die als in die Erde gerammte Pfosten das Grundge-rüst eines einfachen Wohnhauses bilden. Die grob mit dem Beil bearbeiteten Hölzer werden später abgerundet und lassen eine einfache Säule erkennen. Was liegt näher, als das vergängliche Holz durch dauerhaften Stein zu ersetzen.

Die Ägypter sind die ersten, die gewaltige, bisher nie gesehene Bauwerke für ihre Gottheiten und die wie Götter verehrten Herrscher errichten. In den großartigen Vorhöfen und Sälen dieser Paläste und Heiligtümer stehen bis heute mächtige Säulen. Ihre Formen leiten sich von den Symbolen für Ober- und Unterägypten, den Papyrus- und den Lotos-Pflanzen ab. Die gebündelten Schäfte laufen in Knospen oder stilisierten Blüten aus. Kleinteiliger, floraler Schmuck aus stilisierten Palmwedeln taucht in Form von Palmettenfriesen und Girlanden auf.

Ein besonders aufwendiges Schmuckelement ist der Bucranion-Fries. Hierbei werden zwischen zwei Tierschädel leicht geschwungene Girlanden gehängt. Der Bucranion-Fries leitet sich von der Festarchitektur der Antike ab. Einst hat man an den Ecken eines Festplatzes hölzerne Stäbe in den Boden gerammt und auf diese die Schädelknochen der Opfertiere gesteckt. Dazwischen werden aus Laub und Blüten gebundene Girlanden gehängt. In Stein gehauen ziert ein solcher Fries die Fassade der Semperoper in Dresden, einem Bauwerk, in dem festliche Opern aufgeführt werden.

Doch man muss gar nicht so weit gehen. Beim Spaziergang durch die eigene Stadt fallen einem an vielen Haus-Fassaden pflanzliche Dekorationen auf. Auch die Grabdenkmäler auf den historischen Friedhöfen zeigen aus Stein oder Bronze gearbeitete unvergängliche Blumen. Rosen stehen hier für den Grabschmuck eines Liebenden, Lorbeerkränze sind Zeichen der Auszeichnung und Ehre und Mohnkapseln symbolisieren die ewige Ruhe.

Die Natur liefert vielfältige Vorbilder. Je nach Geschmack und je nach den gültigen Modevorschriften werden sie naturalistisch oder abstrakt eingesetzt.


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zuletzt bearbeitet am 18.X.2010