2.Sept.2010
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Früchte des Waldes: Nur die Pilze sammeln und essen, die man kennt!
Karl Josef Strank
Jeder kennt Pilze. Vor allem jetzt im Herbst kommt schon mal die Frage: „Kennst Du eine gute Stelle im Wald, wo es lohnt, Pilze zu sammeln?“ Pilze sammeln ist in der Regel ein mühsames Geschäft und wenn jemand eine Stelle weiß, an der es lohnt, wird er diese tunlichst nicht preisgeben. Denn Pfifferlinge, Steinpilze, Maronen, Champignons, Parasolpilze etc. stehen hoch im Kurs. Ganz zu schweigen von Trüffelpilzen, die von Feinschmeckern fast in Gold aufgewogen werden, und nur mit abgerichteten tierischen Helfern, meist sind es Schweine oder Hunde, im Boden erschnüffelt werden können.
Pilze sind erstaunliche Lebewesen. Mit ihren feinen Fäden durchziehen sie den Boden und werden meist nur für kurze Zeit sichtbar, wenn sie bei günstiger Witterung ihre Fruchtkörper aus der Erde schieben, um sich über staubfeine Sporen zu vermehren und zu verbreiten. Nur ein kleiner Teil aller Pilze bildet dann die typischen Formen mit Stiel und Hut, was dem landläufigen Erscheinungsbild von Pilzen entspricht.
Die meisten haben andere unscheinbare Fruchtkörper oder verbleiben sogar zeitlebens auf dem Stadium des feinen, unscheinbaren fädigen Geflechts. Viele Bodenpilze gehen dabei mit den Pflanzenwurzeln eine Verbindung ein, die als Mycorrhiza bezeichnet wird. Die Pilzfäden legen sich dabei eng um die Wurzel von außen an (ektotrophe M.) oder dringen sogar zwischen und in die Wurzelzellen ein (endotrophe M.) und machen auf diese Weise den Pflanzen Nährstoffe aus dem Boden verfügbar.
Entdeckt wurde dies bei Orchideen, die sogar auf diesen „Beistand“ angewiesen sind, denn deren Samen sind so klein und staubfein, dass sie keinerlei Nährstoffgewebe enthalten, sondern nur noch den Embryo. Ohne den nährenden Pilz sind Orchideensamen nicht mehr in der Lage zu keimen. Einige Zeitgenossen äußern sich nicht ohne ihren Anwalt. Bei Orchideen ist die Abhängigkeit so weit gediehen, dass nichts ohne ihren Pilz geht. Neuere Untersuchungen belegen, dass die vermeintliche Ausnahme der Mycorrhiza wohl eher die Regel ist, denn fast alle Pflanzen kooperieren im Wurzelbereich mit Pilzen.
Pilze sind keine Pflanzen, denn sie bilden aufgrund verschiedener Eigentümlichkeiten ihr eigenes Reich und stehen auf der gleichen Stufe wie Bakterien, einzellige Protisten, Pflanzen und Tiere. Ökologisch werden sie als Zersetzer (Saprophythen) bezeichnet. Sie haben die wichtige Aufgabe, organische Materie aufzubereiten und dem Stoffkreislauf erneut zur Verfügung zu stellen. Daran sind auch noch weitere Organismen beteiligt, aber ohne Pilze würden wir in organischem Abfall ersticken.
Pilze sind schmackhaft und haben einen hohen Nährwert, weil sie reich an Kalium und Phosphor sind. Da sie keine Photosynthese betreiben, bauen sie keine eigene organische Substanz auf und sind kalorienarm, aber äußerst reich an Vitaminen. Sie sättigen, beschäftigen den Magen und verfügen über wertvolle Spurenelemente. Das schwerverdauliche Chitin der Zellwände regt die Darmtätigkeit an. Nicht zuletzt wegen all dieser guten Eigenschaften dürften unsere Urahnen als Jäger und Sammler fleißig Pilze gesammelt und verzehrt haben, denn bei Missernten oder fehlendem Jagdglück haben sie des öfteren Kohldampf geschoben und waren froh über einen reichen Pilzsegen im Herbst. Wegen der großen Oberflächen, die das Pilzmycel im Boden ausbreitet, reichern die Pilze Schwermetalle aber auch radioaktive Substanzen an, so seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 Caesium 137, das sie in den Zellwänden speichern. Die Halbwertszeit dieses Isotops beträgt 30 Jahre, d.h. nach dieser Zeit ist erst die Hälfte der Substanz zerfallen. Ein wöchentlicher Verzehr von 250 g Wildpilzen pro Woche wird noch als unschädlich betrachtet. Das Entfernen der Lamellen, in denen sich die Substanzen anreichern, kann zusätzlich das Risiko minimieren. Pilze gehören seit Urzeiten einfach auf unseren Speiseplan, insbesondere zu Wildgerichten.
Reicher Aberglaube
Mit dem Sammeln der Pilze verknüpft sich ein reicher Aberglaube. So glaubte man, dass zwielichtige Waldgeister und Hexen des Nachts gespenstische Reigen tanzen und im Waldgras die Hexenringe zurücklassen. Diese erklären sich aber ganz natürlich aufgrund des Wachstums eines Pilzgeflechts in konzentrischen Kreisen von innen nach außen. Der Hl. Veit, der Schwammerlpatron, dem gutartige Kobolde hilfreich zur Seite stehen, vertreibt diese bösen Geister. Aus Achtung vor der Natur durften Pilzsammler den ersten gefundenen Pilz nicht brechen, sondern mussten ihn als Opfergabe stehen lassen.
Pilze sind aber nicht alleine schmackhafte Verschönerung unserer Mahlzeiten oder die vertraute Kulisse einer guten Zwergen- und Elfenwelt. Manchen Pilzen sieht man ihre Giftigkeit förmlich an. Die am schwierigsten zu beherrschenden Krankheitserreger und verursacher bei Pflanzen und Tieren finden sich unter den Pilzen. Die Schamanen, die Heiler und Geisterbeschwörer der Urvölker, verbünde(te)n sich mit den Pilzen und nutz(te)n ihre Kräfte, wenn sie sich mit Hilfe des Fliegenpilzes und einiger anderer Pilzarten, die sich hierzu ebenfalls eignen, in Trance- und Rauschzustände versetz(te)n und mit den Geistern und Ahnen in Kontakt traten und treten. Diese Welt erschließt sich aber nur den Eingeweihten.
Für Otto-Normal-Verbraucher gilt für das Sammeln (und den Verzehr) von Pilzen eine Regel, die absolut beachtet werden sollte: Nur das sammeln und essen, was man hundertprozentig kennt! Dann kann nichts schief gehen. Den Beständen der Wildpilze eine Erholung zu gönnen und auf Kulturpilze wie Champignons, Austernpilze und Shii-take zurückzugreifen, wäre aber ebenso wünschenswert.
zuletzt bearbeitet am 18.X.2010