11.Nov.2010
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Der Martinstag: Zeit für die Pacht, Herbstfeuer und die christliche Botschaft
Karl Josef Strank
Wenn vom 11.11. die Rede ist zumal im Rheinland denken viele zuerst an den Beginn der Karnevalssession. Wer diesem Datum nicht entgegenfiebert, wird daran erinnert, denn meist ist dieser närrische Stichtag eine nicht nur kleine Nachricht wert in Funk und Fernsehen. Wer noch kleine Kinder hat, denkt auch an den heiligen Sankt Martin, denn ihm zum Gedenken finden an und um diesen Tag einige abendliche Umzüge mit Fackeln und Laternen statt, an denen unter der Aufsicht der örtlichen Feuerwehren Feuer abgebrannt und die Kinder mit Brezeln und Weckmänner beschenkt werden. Gänse fürchten ebenfalls in diesen Tagen um ihr Leben, denn traditionell werden viele von ihnen als „Martinsgans“ verspeist. Einige sehen darin die gerechte Strafe für dieses Federvieh, weil, der Legende nach sollen sie durch ihr wildes Geschnatter Martin verraten haben, als er sich auf der Flucht vor den Leuten, die ihn zum Bischof machen wollten, in einem Gänsestall versteckt hatte. Er wurde entdeckt und schließlich doch der Bischof von Tours im heutigen Frankreich.
Martinus lebte als Sohn eines römischen Offiziers im vierten Jahrhundert nach Christus und wurde widerwillig seinem Vater gehorchend selber Soldat. Mitten im Winter teilte er vor den Toren der Stadt Amiens seinen Soldatenmantel mit einem frierenden und fast nackten Armen. Er bekehrte sich zum Christentum und ließ sich taufen. Er diente noch zwei Jahre in der Armee, kämpfte unter anderem gegen die Alemannen und quittierte schließlich seinen Dienst. In der Nähe von Poitiers lebte er als Einsiedler, gründete das erste Kloster in Frankreich, das monasterium Locociacum, heute Ligugé. Er lebte ein frommes und bedürfnisloses Leben, missionierte die Menschen in Gallien, um sie zum Christentum zu bekehren, kümmerte sich um sie, pflegte und heilte die Armen. Weil er wegen seiner seelsorgerischen Tätigkeit und seines vorbildlichen Lebenswandels im Volk sehr angesehen war, ist es verständlich, dass die Menschen ihn gegen den Willen des Klerus zum Bischof machen wollten, was er zunächst entschieden ablehnte. Schließlich willigte er ein und als Bischof gründete er in der Nähe von Tours das Kloster Marmoutier, von wo aus er sein Bischofsamt ausübte. Auf mehreren Missionsreisen zog er mit seinen Mönchen durch das Land. Am Kaiserhof in Trier wurde sein Rat geschätzt. Sein Grab in Tours entwickelte sich schnell nach seinem Tod zum heiligen Ort für viele Pilgerreisende. Die capa, sein Mantel, wurde dort in einem eigenen kleinen Gebetshaus, der capella (Kapelle), aufbewahrt. Eigens dafür abgestellten capellani (Kaplänen) oblag die Aufsicht und Fürsorge der Mantelreliquie des heiligen Martin. Die Pilgerreisen werden im Frühjahr (Martinus aestivus am 4. Juli) zum Jahrestag seiner Bischofswahl und im Herbst/Winter (Martinus hiemalis am 11. November) zum Jahrestag seiner Beisetzung in Tours durchgeführt. Die spätere Basilika und das Kloster St. Martin sind in Folge der französischen Revolution verfallen und heute nur noch in Resten erhalten. Der Hl. Martin ist der Patron der Soldaten, Reisenden, Bedürftigen, Gefangenen, Bauern und Hirten. Er ist der Beschützer der Haustiere, der Betreuer der Kranken und insbesondere der Aussätzigen.
Als die Franken das römische Gallien eroberten und sich nach und nach dem Christentum zuwandten, übernahmen sie auch die Verehrung des heiligen Martin. Er wurde zum Nationalheiligen der Franken. Die capa, der Mantel, erfährt höchste Verehrung und geht in den Besitz der Merowinger-Könige über. Von diesen erhalten ihn schließlich die Karolinger. Seit Mitte des 7. Jahrhunderts feierte man zu Ehren des Hl. Martin am 11. November das Martinsfest.
Unter Karl dem Großen wird der Martinstag zu einem wichtigen Stichtag des Jahreskalenders. Er entwickelt sich zum allgemeinen Zinstag. Zu Martini erhielten die Kirchen und Klöster ihre Abgaben: Stiere, Ochsen, Schweine, Gänse, Hühner, Getreide und viele andere landwirtschaftliche Produkte. Am Zinstag schenkten die Klöster den Martinswein aus. Man feierte so mit der auf den Ländereien arbeitenden Bevölkerung den Abschluss des Erntejahres. Seit alter Zeit feierte man das Erntefest im Herbst mit einer Gans als Festtagsbraten. Das praktische dieser Überlegung: Lieber einige der vom Sommer „fetten“ Tiere vorher essen, um sie nicht alle durch den Winter füttern zu müssen.
Im Capitulare de villis bestimmte Karl der Große den Martinstag zum Zeitpunkt, die jungen Hengst-fohlen an die Pfalzen abzuführen. Er wollte wissen, wie erfolgreich die jährliche Nachzucht verlaufen war und wie viele Pferde dem Heer zur Verfügung standen. Zu Martini endeten traditionell das Pachtjahr, was dem Ende der natürlichen Bewirtschaftungsperiode entspricht, und die Dienstverhältnisse, denn neue Dienstboten nahmen am Martinstag die Tätigkeit auf. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Leibeigenschaft im Zuge der preußischen Reformen 1807 durch Erlass des Königs abgeschafft wurde und mit Wirkung zum Martinstag 1810 endgültig in Kraft trat.
Wegen der vielen Bedeutungen, die der Martinstag hat, entwickelte sich ein ebenso reichhaltiges Brauchtum. Die seit vorchristlichen Zeiten lodernden Herbstfeuer werden auf den Höhen am Rhein zwischen Köln und Koblenz am Vortag des Martinsfestes abgebrannt. Diesen Brauch gibt es auch in der Eifel, in den Ardennen und im Limburger Land. Mit brennenden Scheiten durchlief man früher die Feldflur, um mit der segnenden Kraft dieser Herbstfeuer für eine gute Ernte zu danken und gleichzeitig den Schutz der Wintersaaten und der Herden zu erbitten. Heute steht bei den Martinsumzügen die christliche Botschaft im Mittelpunkt: Wer teilt, gewinnt, wer sich erbarmt, lebt die Güte Christi, die wie eine Fackel in tiefer Nacht leuchtet und den Menschen Geborgenheit und Zuversicht gibt.
zuletzt bearbeitet am 27.XII.2010