19.Jan.2012

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die untere Erft: Ein Fluss ohne Winter

Joachim Schmitz

In Zeiten der allgemeinen Klimaerwärmung hat man sich ja langsam daran gewöhnt, dass bei uns immer mehr wärmeliebende Arten Fuß fassen. Es gibt aber auch Fälle, die mit der allgemeinen Klimaerwärmung gar nichts zu tun haben sondern an denen eindeutig und einzig nur der Mensch Verantwortung trägt. Ein Beispiel für ein solches Biotop ist die Erft. Ab Bedburg wird in die Erft so genanntes Sümpfungswasser eingeleitet. Das ist Grundwasser, das aus den Braunkohletagebauen abgepumpt wird, damit die Bagger da überhaupt graben können. Dieses Sümpfungswasser kommt aus großen Tiefen und ist deshalb relativ warm. Das hat zur Folge, dass ab Grevenbroich das Wasser der Erft auch in strengen Wintern nicht unter 10°C abkühlt. Dazu kommt, dass die Erft, ähnlich wie die untere Rur, begradigt und mit künstlichen Uferdämmen gefasst ist. Dadurch ist die Fließgeschwindigkeit für einen Fluss dieser Größenordnung im Flachland ungewöhnlich groß. Damit stellt die untere Erft ein außerordentlich künstliches Biotop dar. Wie immer in solchen Fällen gibt es kaum heimische Pflanzen und Tiere, die an die besonderen Bedingungen angepasst sind. Stattdessen haben es eingeschleppte Arten hier leicht, sich durchzusetzen.

1981 wurde als erstes die Zierliche Wasserlinse (Lemna minuta) in der Erft entdeckt. Die Pflanze gehört zu einer Gruppe von Arten, die der Volksmund auch pauschal als Entengrütze bezeichnet und die für Laien schwer unterscheidbar sind. Deshalb ist es gut vorstellbar, dass die Art dort schon viel länger vorkommt. Die Zierliche Wasserlinse ist eigentlich keine typische Garten- oder Aquariumspflanze. Vielleicht ist sie als ‚blinder Passagier‘ mit anderen Pflanzen aus Amerika nach Europa gekommen. Man vermutet, dass sich die Art innerhalb Deutschlands durch Verschleppung mit Wasservögeln ausgebreitet hat. Bezeichnenderweise verträgt sie wesentlich höhere Fließgeschwindigkeiten als die heimischen Wasserlinsen.

Schon im 19. Jahrhundert gelangte der Große Algenfarn (Azolla filiculoides) von Amerika nach Europa. Von Bordeaux breitete sich die wärmeliebende (bzw. treffender: frostempfindliche) Art nach Norden und Westen aus. In der Erft ist sie Mitte der 1980er-Jahre entdeckt worden und hat sich hier fest eingebürgert.

Weitere Arten, die inzwischen in der Erft, von ihr gespeisten Mühlgräben oder anderen Randgewässern gefunden wurden, sind: Dichte Wasserpest (Egeria densa), Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes), Großer Wassernabel (Hydrocotyle ranunculoides), Indischer Wasserfreund (Hygrophila polysperma), Brasilianisches Tausendblatt (Myriophyllum aquaticum) (gibt es übrigens auch im Blauen See westlich Kreuzau-Untermaubach), Wassersalat (Pistia stratiotes) und Mexikanisches Eichenblatt (Shinnersia rivularis). Es handelt sich durchweg um Teich- oder Aquariumspflanzen, die von gedankenlosen Zeitgenossen in der Erft ‚entsorgt‘ wurden und sich dort - anders als an normalen Standorten - länger oder kürzer halten können, weil die Erft eben nicht mehr unter 10°C abkühlt. Bei den meisten Arten ist noch nicht klar, ob sie sich wirklich dauerhaft etablieren können oder eine Eintagserscheinung bleiben.

Von den genannten Arten bilden die wenigsten ansehnliche Blüten. Die meisten blühen nur selten und wenn, dann sehr unscheinbar, oder machen gar keine Blüten wie der Algenfarn. Wer sich das trotzdem mal angucken will, dem sei eine Fahrt nach Grevenbroich empfohlen. Vom Bahnhof kommt man geradeaus nach wenigen hundert Metern zur Erft. Hier führt ein lokaler Rundwanderweg die Erft entlang. Hier trifft man auch auf den Fernwanderweg X2 des Vereins Niederrhein, der einen, wenn man denn will, bis Neuss führt. Der Fernwanderweg verlässt allerdings öfters den Lauf der Erft, um andere Sehenswürdigkeiten mitzunehmen. Man kann sich natürlich auch selbst einen Weg entlang der Erft bis an die Mündung im Rhein suchen; dafür braucht man aber gutes Kartenmaterial

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zuletzt bearbeitet am 19.I.2012