9.Febr.2012

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Spannende Frage: Warum wachsen Wurzeln Richtung Schwerkraft?

Angela Ertz

Langsam kippt die große Kiefer nur knapp zehn Meter neben uns zur Seite und fällt fast lautlos auf den Waldboden. Der Druck des Windes brachte den tonnenschweren Baum letztlich aus dem Kräftegleichgewicht. Damit hatten wir allerdings nicht gerechnet bei unserem Spaziergang an einem der stürmischen Januartage. Denn der Anblick von hohen Bäumen, die jahrzehntelang aufrecht an ihrem Platz stehen, ist ja das Normale.
Aber wer einmal versucht hat, auch nur zwei Pfosten einer Reckstange mit viel Mühe (und Beton) wackelfrei im Boden zu verankern, der bekommt eine Ahnung von den bemerkenswerten Fähigkeiten der Wurzelsysteme der Bäume.

Der Geotropismus
Eine wichtige Grundeigenschaft von Wurzeln ist es, in Richtung der Schwerkraft zu wachsen. Diese Richtung kann von bestimmten Wurzelzellen über die Verlagerung von Stärkekörnern identifiziert werden. Wie das genau funktioniert, ist bisher nicht in allen Details geklärt. Dieser sogenannte positive Geotropismus gilt jedoch nur für die Hauptwurzel. Die daraus entspringenden Seitenwurzeln wachsen ohne Richtungsbestimmung. Ihre Aufgabe ist es nämlich, eine ausreichend breite Fläche im Boden zu bewurzeln, um so die Stabilität des Baumes abzusichern. Manchmal können so auch ineinander verschlungene Wurzeln von Nachbarbäumen miteinander verwachsen.

Zwei Faktoren
Insgesamt hängt die Ausformung der Wurzelsysteme nur zum einen Teil von der genetischen Prägung einer Baumart ab, zum anderen Teil von der Durchwurzelbarkeit des jeweiligen Untergrunds. Die Fichte kann zum Beispiel als typischer Flachwurzler gut flachgründige Böden besiedeln. Auf besser durchwurzelbaren Böden bildet sie aber zusätzlich gerne senkrechte Senkerwurzeln zur Stabilisierung aus.
Kiefern haben auf Sandböden Pfahlwurzeln, um auch noch an tiefes Grundwasser zu gelangen. Auf flachen Böden nehmen sie als Ausgleich dagegen eine möglichst große Wurzelfläche ein.
Die Buche bildet bei optimalem Untergrund ein herzförmiges Wurzelsystem mit mehreren dickeren Wurzeln aus, die nach unten wachsen. Dass Buchen unter anderen Bedingungen aber auch ganz anders wachsen können, sieht man in Aachen am ehemaligen Inneren Landgraben am Gut Hasselholz, wo die beschnittenen Kopfbuchen bizarre Formen angenommen haben und deren verschlungenen Wurzeln zum Teil frei liegen.

In unserem Standardbild von einem Baum gehören Wurzeln unter die Erde, da sie ja nur dort ihrer zweiten Aufgabe, nämlich der Aufnahme von Wasser und Nährstoffen aus dem Boden, nachgehen können. Ältere Wurzelbereiche, die ähnlich wie Stamm und Äste mit dem Dickenwachstum sogar eine Art Borke ausbilden, müssen aber nicht unbedingt unter der Erde liegen. Denn die Fähigkeit zur Wasseraufnahme haben nur die ganz feinen Wurzelspitzen, von denen es pro Baum entsprechend viele gibt. Die Wurzelspitzen haben zusätzlich noch die Aufgabe, den Weg durch teilweise steinige und harte Untergründe zu bahnen. Dabei unterscheidet ein Baum leider nicht zwischen Felsen und der Teerdecke eines Radwegs. Wurzeln ‚durchbohren‘ natürlich nicht den Untergrund, wie der Sprachgebrauch suggeriert, sondern sie wachsen einfach. Dafür sind kurz hinter jeder Wurzelspitze einige wenige Initialzellen verantwortlich, die sich laufend teilen und so täglich mehrere 1000 neue Zellen produzieren, die jede Wurzel entsprechend verlängern. Um diesen sehr sensiblen Wurzelbereich zu schützen, ist die äußerste Wurzelspitze von einer Kappe umhüllt. Sie besteht aus Zellen, die fortwährend abgestoßen und erneuert werden und aus denen zusätzlich noch ein schützender Schleim austritt.
Dass dieses System der Wurzelverankerung erfolgreich ist, beweisen hohe Ahornbäume, die sich an steilen Bahndämmen gut entwickeln, und kleine Birken, die festgekrallt in Dachrinnen mehrere Jahre durchhalten.

Ein Fall für Biomechaniker
Den statischen Fähigkeiten der Bäume ist auch die Biomechanik, eine Forschungsrichtung der Bionik, auf der Spur. Insbesondere die Übergänge zwischen Stamm und Wurzeln, die sogenannten Wurzelanläufe, sind für die Forscher interessant. Dort findet man gerade bei Flachwurzlern Winkelkombinationen, die genau an die Zug- und Druckbelastungen des Baumes angepasst sind und die Vorbilder für mechanisch belastbare Werkstücke bis hin zu orthopädischen Schrauben sein können.

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zuletzt bearbeitet am 9.II.2012