12.April 2012
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Stielmus: Außerhalb des Rheinlands ist dieses Gemüse kaum bekannt
Joachim Schmitz
Auf den Wochenmärkten und in besser sortierten Gemüsegeschäften sieht man es jetzt wieder. Auswärtige Besucher können mit den Bündeln junger Blätter mit den dicken Mittelrippen nicht viel anfangen. Außerhalb des Rheinlands und Hollands ist dieses Gemüse kaum bekannt.
Botanisch ist Stielmus eine Stoppel- oder Weißrübe (Brassica rapa, Familie der Kreuzblüter). Die Rüben bildenden Kulturformen werden in der Unterart Brassica rapa ssp. rapa zusammengefasst. Dazu gehören zum Beispiel Mairüben, Teltower Rübchen oder die französischen Navets. Um daraus Stielmus zu machen, werden die Pflanzen sehr früh (schon ab Februar) und sehr dicht ausgesät, so dass zunächst nur Blätter erscheinen.
Nach der Ernte der Blätter müssen diese „abgestreift“ werden, das heißt die flächigen Blattteile werden vom Stiel respektive der Mittelrippe abgezupft. Deshalb wird Stielmus in manchen Gegenden auch Streifmus (mundartlich „Strippmaus“) genannt.
Lässt man einzelne Pflanzen stehen, entwickeln sich später die typischen Rüben. Man kann also im selben Beet zunächst Stielmus und später Mairüben ernten. Heute wird überwiegend die Sorte ‚Namenia‘ angebaut. Diese gehört zur mediterranen wilden Stammform der Weißrübe (Brasica rapa ssp. campestris), die keine Rübe bildet. Deshalb ist diese Sorte auch nur als Stielmus nutzbar. Dafür sind die Blätter zarter, so dass man hier das ganze Blatt verwerten kann und nicht mehr abstreifen muss.
Frische Vitamine
Kohlsorten als Blattgemüse waren einmal sehr verbreitet. Stielmus und ähnliche Gemüse gedeihen sehr früh und bei geringen Temperaturen, so dass sie früher die erste Quelle für frische Vitamine im Frühjahr waren. Mit besseren Konservierungsmethoden und der Einfuhr von Südfrüchten haben Stielmus & Co ihre Bedeutung verloren.
Während sich das rheinische Stielmus noch einigermaßen halten konnte, wäre zum Beispiel der Bremer Sche(e)rkohl fast ausgestorben. Hierbei handelt es sich botanisch übrigens weder um einen echten Kohl (Brassica oleracea) noch um eine Weißrübe (Brassica rapa), sondern um eine Form des Raps (Brassica napus). Stielmus, Scheerkohl und Ähnliches werden unter der Bezeichnung Rübstiel zusammengefasst. Dieser Name ist also botanisch nicht eindeutig.
Die Rote Rübe vulgo Rote Bete hat botanisch damit gar nichts zu tun. Sie gehört mit Runkel- und Zuckerrübe zur Art Beta vulgaris, die früher zur Familie Gänsefußgewächse (Chenopodiaceae) gezählt wurde, die aber inzwischen mit den Fuchsschwanzgewächsen (Amaranthaceae) vereinigt wurde.
„Rübe“ bezeichnet eigentlich auch keine Art, sondern eine bestimmte Wuchsform, bei der die Pflanzen die Wurzel und den untersten Stängelabschnitt zu einem gemeinsamen Speicherorgan ausgebildet haben. Das kann man auch daran erkennen, dass oben an einer Rübe eine bis mehrere Erneuerungsknospen sitzen, die dann im Frühjahr wieder zu neuen Pflanzen austreiben. In diesem Sinne ist zum Beispiel auch die Möhre und die Schwarzwurzel eine Rübe.
Die traditionelle Zubereitung von Stielmus ist die als Mischgemüse mit gestampften Kartoffeln. Dies bietet sich an, weil Stielmus relativ wasserreich ist und die Kartoffelstärke dieses Wasser binden kann. In jüngerer Zeit ist Stielmus auch von der Hochküche wiederentdeckt worden. Dies liegt sicher auch daran, dass die heute übliche Sorte ‚Namenia‘ zarter ist, als ganzes Blatt verwendet und deshalb auch nur gedünstet werden kann.
zuletzt bearbeitet am 12.IV.2012