21.Juni 2012
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Der Schierling: Warum man bei dieser Pflanze ganz genau hinschauen sollte
Karl Josef Strank
Möhren, Sellerie, Fenchel, Dill, Anis, Petersilie, Kerbel, Koriander diese Liste ließe sich fortsetzen gehören alle zur Familie der Doldengewächse. Diese ist durch ihre vielen kleinen weißen Blüten, die sich mehr oder weniger zahlreich in einem schirmartigen „doldigen“ Blütenstand zusammenballen, gekennzeichnet. Sie stellt bei uns viele Küchenpflanzen und Gewürze, die wir alle aus dem Garten kennen, aber auch viele Pflanzen, die in Hecken, an Wegrändern, auf Brachen, in Wiesen und Gebüschen wachsen.
Als eher unangenehmes, hartnäckiges Unkraut kennt der ein oder andere den Giersch, dem nur schwer beizukommen ist. Da sich viele Doldengewächse in den Blütenständen, aber auch in den meist gefiederten Blättern sehr ähnlich sehen, besteht durchaus die Gefahr der Verwechslung. Das kann mitunter fatale Folgen haben, denn neben aromatischen Gewürzpflanzen verzeichnet die Familie der Umbelliferen (Doldenträger) auch einige und insbesondere eine der stärksten heimischen Giftpflanzen, den echten oder gefleckten Schierling.
Aus einer spindelförmigen Wurzel entspringt ein aufrechter, kahler, glänzender Stängel, der innen hohl und außen stark kantig gerillt ist. Kennzeichnend ist, dass der Stängel am Grunde rote bis dunkelbraune Flecken aufweist. Die Pflanze erreicht eine Höhe von eineinhalb bis zwei Metern. Die glänzenden dunkelgrünen Blätter sind an der Basis scheidig gestielt und dreifach bis vierfach gefiedert. Die unscheinbaren weißen Blüten stehen in 10 20-strahligen Doppeldolden. Am Grunde der Dolde stehen viele Hüllblättchen, bei den Döldchen sind diese auch vorhanden und nach außen gerichtet. Die fünf Kronblätter sind verkehrt herzförmig. Die zusammengedrückten grünlich, grauen Samen sind Millimeter lang und sehen wegen ihrer wellig gebogenen Rippen warzig aus.
Der Schierling blüht von Juni bis September. Er kommt auf der gesamten Nordhalbkugel vor und wächst an Ufern, Hecken, Zäunen, Mauern, Wegrändern und auf Schutt, auffallend häufig in der Nähe menschlicher Siedlungen.
Die Samen und das Kraut hinterlassen beim Zerreiben einen lang anhaltenden intensiven und scharfen an Mäuse-Urin erinnernden Geruch, der normalerweise verhindert, dass er vom Vieh gefressen wird, weshalb er auch Mäuseschierling heißt. Weitere Namen sind u.a. Blutschierling, Dollkraut, Schwindelkraut, Vogeltod, Würgling.
Die Schierlingspflanze ist in allen ihren Teilen giftig, den höchsten Gehalt haben die Samen mit 3,5 Prozent, die Stängel mit 0,5 Prozent und die Blätter mit 0,25 Prozent. Der Gehalt schwankt im Laufe des Jahres und nimmt beim Trocknen nur sehr langsam ab.
Hauptinhaltsstoff ist das Alkaloid Coniin, das eine nikotin- und auch curare-ähnliche Wirkung aufweist. Die Vergiftung äußert sich zunächst mit Brennen und Kratzen im Mund-, Rachen- und Halsbereich, mit Sehstörungen und einer allgemeinen Schwäche. Höhere Dosen verursachen Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, Schwindel und sporadische Bewusstseinstrübungen. Durch letztlich noch nicht restlos aufgeklärte Wirkungen auf das zentrale Nervensystem und Lähmungen desselben sowie der Zunge folgen Schluck- und Sprachstörungen. Die Lähmungen setzen sich über die Füße, die Beine und den Rumpf in die Arme fort. Der Tod tritt dann nach einer halben bis fünf Stunden durch eine zentrale Atemlähmung meist bei vollem Bewusstsein ein.
Gelassen und ruhig nahm der Philosoph Sokrates diesen Tod hin, nachdem die Athener ihn wegen Gotteslästerung und Verführung der Jugend zum Tode verurteilt hatten. Er trank den Schierlingsbecher mit dem darin aus Wurzel und Samen bereiteten Gift, eine in der Antike lange bekannte und praktizierte Form der Hinrichtung.
Bei Vergiftungen mit Schierling ergreifen Mediziner heute folgende Gegenmaßnahmen: Sie lösen Erbrechen aus, spülen den Magen und verabreichen medizinische Kohle, um die Resorption des Giftes zu verhindern bzw. zu vermindern. Sie verabreichen Strychnin, um die Blockaden des zentralen Nervensystems aufzuheben, und im Falle einer Atemlähmung wird der Patient künstlich beatmet.
zuletzt bearbeitet am 24.VI.2012