28.Juni 2012

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Eine bizarre Schönheit. Was hat das Billardtuch mit der Weberkarde zu tun?

Astrid von Reis

Wissen Sie, was das Billardtuch mit der Rau-, Woll-, Tuch- oder Weberkarde (Dipsacus sativus (L.) Honck.) zu tun hat? Die deutschen Namen verraten hier einiges: die Pflanze, genauer gesagt ihr trockener Fruchtstand, hatte eine große Bedeutung in der Tuchindustrie. Hiermit wurde Wollgewebe kardiert oder „gekrempelt“, das heißt lose Textilfasern werden zu Flor oder Vlies ausgerichtet. Auch bei der Herstellung von Lein wurde der Fruchtstand verwendet: Er wurde zum „Hecheln“ genutzt, das heißt zum Aufspalten der zusammenhängenden und zum Auskämmen der kürzeren Leinfasern, bevor sie versponnen wurden.

Innungszeichen der Tuchmacher

Der große Nutzen zur Herstellung von Wollstoffen und als Werkzeug in der Leinenweberei war sicherlich der Grund, warum die Weberkarde wie auch der Krapp (eine Färbepflanze), als wichtige Kulturpflanze auch in die Pflanzenliste der Landgüterordnung von Karl dem Großen aufgenommen worden ist. Die Pflanze war auch das Innungszeichen der Tuchmacher.

Tatsächlich werden die stacheligen Fruchtstände zwar selten aber heute noch auf Stangen aufgezogen und für die Herstellung bzw. Veredlung von sehr feinem Filztuch, so auch dem Billardtuch genutzt. Im Dachsteingebirge in Ramsau (Österreich) kann noch eine Lodenwalkerei besichtigt werden, die Naturkarden zum Rauen der Stoffe einsetzt.

In der Unterfamilie der Kardengewächse (Dipsacoideae) kommen 15 zwei- oder mehrjährige frostharte Kardenarten vor. Sie sind in Europa, Nordafrika und den gemäßigten Zonen Asiens verbreitet.

Die Weberkarde, die wild nur im westlichen Mittelmehrraum vorkommt, wird heute als Unterart der Art Dipsacus fullonum (Wilde Karde) aufgefasst. Sie unterscheiden sich lediglich in den Hüllblättern und den Spreublättern der einzelnen Blüten, letztgenannte sind bei der Weberkarde oder Kardendistel viel breiter, kürzer, starr und an der stacheligen Spitze hakenförmig nach rückwärts gekrümmt, welches sie so nützlich für die Tuchherstellung machte. Beide wachsen auf etwas steinigen kalk- und stickstoffhaltigen Böden in Wildkrautbeständen, auf frisch feuchten Ruderalstellen, auf Dämmen, an Straßen und Böschungen bis auf 1000 m Höhe. Aus der im Vorjahr entstandenen Rosette mit 30 cm langen, spitzen Blättern, die bei Beginn der Blüte vertrocknen, wächst der lange, bis zu zwei Meter hoch werdende und im oberen Teil verzweigte Stängel. Er ist kantig gerillt und auf den Kanten unregelmäßig mit 1-5 mm langen Stacheln besetzt.

Waschbecken der Venus

Die Stängelblätter sind kürzer, ungeteilt, am Rand kahl oder – wie an der Unterseite, entlang des Hauptnervs – mit Stacheln besetzt. Die Blätter stehen sich gegenüber und sind am Grunde paarweise tütenförmig miteinander verwachsen. Hierdurch entstehen kleine ‚Wasserbecken’, in welchen sich Tau- und Regenwasser sammelt. Sie wurden früher, so auch von Dioskorides, als ‚Labrum Veneris’ (Waschbecken der Venus) bezeichnet. So glaubte man, dass Mädchen, die sich mit dem Wasser der Kardendistel wuschen, besonders schön würden. Auch der lateinische Name der Gattung rührt von diesen Wasserreservoirs beziehungsweise ihrem Nutzen für durstige Menschen. Dipsacus lässt sich etymologisch aus dem griechischen dipsakos von dipsa für ‚Durst’, eventuell auch von dipsakos in der Bedeutung von ‚Zuckerkrankheit’ ableiten, der von Galenus so benannten Krankheit, bei der die Patienten unter unstillbarem Durst leiden. Im späten Frühjahr wachsen aus den oberen Blattachseln an langen, stacheligen Stielen 3-10 cm lange und 2,5-4,5 cm breite Blütenähren in zylindrischer Form. Die kleinen, hellvioletten Blüten sitzen auf den für die technische Nutzung so wesentlichen gekrümmten Spreublättern. Als erste öffnen sich die Blüten in der Köpfchenmitte, danach schiebt sich die Zone der geöffneten Blüten gleichmäßig nach oben und nach unten – im Karlsgarten schön zu sehen.


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zuletzt bearbeitet am 6.VII.2012