5.Juli 2012

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Der Rote Fingerhut. Stattliche Exemplare am „Weißen Weg“ im Pferdelandpark

Ruth Gestrich-Schmitz

Jedes Jahr, wenn der CHIO, das Weltfest des Pferdesports, in Aachen stattfindet, hat auch der Rote Fingerhut (Digitalis purpurea) mit seinen großen purpurrot-violetten Blüten seinen Auftritt. Wandert man auf dem „Weißen Weg“, dem zentralen Bestandteil des im Rahmen der Euregionale 2008 entwickelten Pferdelandparks der Städte Aachen, Herzogenrath und Kerkrade, vom Obelisken am Ende der Straße „Zum blauen Stein“ den Buschweg entlang, trifft man am Wegesrand auf stattliche, reichblühende Exemplare des Roten Fingerhuts.

Ein Wegerich

Er wächst gerne auf kalkarmen, leicht sauren, lockeren Böden. Größere Bestände findet man in lichten Wäldern, auf Kahlschlägen und auf Waldwegen, vor allem in den Gebirgslagen West- und Mitteleuropas. Im Nationalpark Eifel hat die Blüte gerade erst begonnen.

Der Rote Fingerhut, heute der Familie der Wegerichgewächse (Plantaginaceae) zugeordnet, ist eine zweijährige Pflanze, die im ersten Jahr eine bodenständige Blattrosette bildet, aus der im zweiten Jahr ein bis zu zwei Meter hoher, unverzweigter, beblätterter Stängel austreibt. Die Stängelblätter sind eiförmig bis lanzettlich, auf der Oberseite feinflaumig, auf der Unterseite grau-filzig behaart und haben einen gekerbtem Rand.

Von Juni bis August bilden die Blüten, deren Form der Pflanze den Namen gegeben hat, eine lockere, einseitswendige (zum Licht hin orientierte) Traube. Die schräg abwärts gerichteten, bis sechs cm langen, röhrig-glockigen Blütenkronen sind schwach zweilippig, innen behaart und außen kahl. Auf der Unterlippe fallen viele dunkelrote, weißumrandete Flecken ins Auge. Als Besonderheit tritt beim Fingerhut zuweilen an der Stängelspitze eine große, aufrechte, schalenartige Blüte auf, eine Pelorie. Aus der befruchteten Blüte entsteht eine zweiklappige Kapselfrucht, die im Herbst aufspringt und viele kleine braune Samen entlässt, die mit dem Wind verbreitet werden.

Alle Pflanzenteile sind hochgiftig, volkstümliche Namen für den Roten Fingerhut wie Giftglocken oder Rote Totenglocken zeugen davon. Im Jahr 2007 wurde der Rote Fingerhut zur Giftpflanze des Jahres gewählt. In der passenden Dosierung jedoch ist Digitalis eines der bekanntesten Herzmittel wegen der in ihm enthaltenen etwa 30 Cardenolid-Glykoside, zu denen die therapeutisch wichtigsten Purpureaglycoside A und B gehören.

Erste Quellen über die medizinische Verwendung des Roten Fingerhuts kommen aus Irland (6. Jh.). Irische Mönche haben die Kenntnisse über Schottland und England bis nach Mitteleuropa gebracht.

Digitalis wurde zur Behandlung von Geschwüren, Geschwülsten des Unterleibs (daher der volkstümliche Name Schwulstkraut) und Kopfschmerzen empfohlen (Arzneibuch aus Südwales, 13. Jh.). 1786 publizierte der englische Arzt William Withering einen Bericht über die erfolgreiche Behandlung von Wassersucht mit Digitalis purpurea. Damit begann die moderne Digitalis-Therapie bei Herzinsuffizienz. Die Herzglykoside sorgen für eine Normalisierung der Kontraktionskraft des in seiner Leistung geschwächten Herzmuskels. Dies fördert auch die Blutversorgung und damit die Funktion der Nieren, was eine Ausschwemmung von Ödemen (Wasseransammlungen) zur Folge hat.Roter und der mit ihm verwandte Wollige Fingerhut (Digitalis lanata) dienen heute als Ausgangsmaterial zur Herstellung der Reinglykoside. Diese bieten den Vorteil der Möglichkeit der exakten Dosierung, denn der Grat zwischen therapeutisch nötiger Präparatmenge und der Gefahr der medizinischen Vergiftung ist schmal.

Auf den Pfaden Paulines

In der Homöopathie wird Digitalis neben Herzschwäche auch bei Gastritis, Migräne und Augenentzündungen eingesetzt. Der Rote Fingerhut ist nicht nur eine Augenweide in der Natur, auch als Gartenpflanze erfreut er sich großer Beliebtheit. Wer die schönen Exemplare entlang des „Weißen Weges“ betrachten möchte, dem sei ein Spaziergang auf den Pfaden von Pauline, Fürstin Borghese, empfohlen, der Schwester Napoleons, nach der das Paulinenwäldchen zwischen Aachen und Herzogenrath benannt ist.

Der Rote Fingerhut am „Weißen Weg“.
Foto: Gestrich-Schmitz


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zuletzt bearbeitet am 6.VII.2012