18.Juli 2013
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Donner und Blitz: Was die Hauswurz mit Jupiter und Donar zu tun hat
Ruth Gestrich-Schmitz
Et ille hortulanus habeat super domum suam jovis barbam“: “Auf dem Dach seines Hauses habe ein jeder Gärtner seinen Jupiterbart.“ Es klingt wie ein Befehl und steht so im Capitulare de villis, der Landgüterverordnung Karls des Großen, wo der „Jupiterbart“, die Dach-Hauswurz, in der Pflanzenliste des 70. Kapitels als Nr. 73 genannt ist. In den Deutschen Pflanzensagen berichtet A. von Perger, dass die Dach-Hauswurz (Sempervivum tectorum) auch als Donarsbart, Donnerbart oder Gewitterkraut bezeichnet, dem Donar (bei den Römern Jupiter) geweiht war und „dem Hause, auf welchem sie wachse, weder Blitz noch Donner schaden könne“. Zog ein Gewitter auf, so legte man die am Johannistag vom Dach gesammelten Hauswurz-Rosetten zusammen mit Palmkätzchen, das sind Blütenkätzchen der Salweide, die an Palmsonntag gesegnet wurden, mit auf die Kohlen des Herdes, was Unglück vom Haus fernhalten sollte. Dieser magischen Vorstellung könnte der Gedanke zugrunde liegen, dass Donar als Blitze schleudernder Herrscher der Götterwelt solche Häuser, auf denen sein Bart wuchs, nicht in Schutt und Asche legte, weil er nicht diesen Teil seiner Männlichkeit zerstören wollte.
Einen praktischen Effekt hatte die Dach-Hauswurz auf jeden Fall: Ihr Bewuchs schützte die früher oft mit Stroh gedeckten Dächer. Auch heute noch findet man die Dach-Hauswurz auf Torpfosten, Mauerkronen, Simsen und Dächern. Denn sie ist eine ausdauernde, zu den Dickblattgewächsen gehörende Pflanze, die in ihren Blättern Wasser speichern und somit längere Trockenphasen überstehen kann, worauf der Gattungsname „Sempervivum“ („immer lebendig“) Bezug nimmt. Sie liebt die Sonne und gedeiht an mageren, steinigen Standorten. Die Blätter bilden dichte Rosetten, aus denen im Frühjahr Ausläufer treiben, an deren Enden sich Tochterrosetten entwickeln. So entstehen bald dichte Polster. Zur Blüte scheint die Rosette in die Höhe zu schießen, um von Juli bis September an der Spitze mehrere sternförmige, blassrote bis weißlichrote Blüten hervorzubringen.
Seit der Antike schätzt man die Dach-Hauswurz auch als Heilpflanze: Der aus den Blättern gepresste Saft fördert die Heilung von Brandwunden, Hauterkrankungen und Warzen. Sogar gegen Sommersprossen und Altersflecken soll er wirksam sein. Er hilft bei Fieber, Insektenstichen, Ohren-, Zahnschmerzen und Nasenbluten. Er wirkt mit seinen Inhaltstoffen (Gerb- und Schleimstoffe, Apfel- und Ameisensäure) adstringierend (zusammenziehend), kühlend, beruhigend, harntreibend. Vor einer Überdosierung bei innerlicher Anwendung sei aber gewarnt: Sie führt zu Erbrechen und Durchfall. Hildegard von Bingen empfiehlt die Dach-Hauswurz gegen die Unfruchtbarkeit des Mannes und zur Steigerung der Liebeslust. Seit altersher ist Hauswurz auch eine beliebte Zierpflanze. Als Steingartenpflanze, zur Bepflanzung von Trögen, Topfpyramiden und Trockenmauern oder für Beeteinfassungen wird sie gerne genommen. Als Symbol für Unsterblichkeit war sie auch eine beliebte Friedhofspflanze. Die Dach-Hauswurz stammt aus den Gebirgen Mittel- und Südeuropas. Wild kommt sie in den Felsfluren des Mittelrhein-, Ahr- und Moseltals als seltener Endemit vor.
zuletzt bearbeitet am 22.VII.2013