5.Dez.2013

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Rose von Jericho als unscheinbares Knäuel und „Auferstehungspflanze“

Karl Josef Strank

Überall locken wieder die Weihnachtsmärkte mit Lichterglanz, Glühwein und Gebäck die Besucher an. Im Angebot der Buden findet man zuweilen ein eher unscheinbares grau-braunes zusammengerolltes Pflanzenknäuel, das scheinbar Zauberkräfte besitzt, weil es nach langer Dürre wieder „zum Leben erweckt“ werden kann: die Rose von Jericho. Legt man sie in eine Schale mit Wasser, entfalten sich die Blätter und die Pflanze „erblüht“. Ursprünglich stammt sie aus den Wüstengebieten in Jordanien und Israel, von den Kreuzrittern wurde sie dann nach Europa gebracht. Der Legende nach soll Maria bei der Flucht der Heiligen Familie vor Herodes nach Ägypten die Rose von Jericho, die entlang ihres Weges wuchs, gesegnet und ihr ewiges Leben gewährt haben.

Mit einer wirklichen Rose aus der Familie der Rosengewächse (Rosaceae) hat diese Pflanze nichts zu tun, der Begriff „Rose“ weist auf sie als eine wertvolle Pflanze hin. Die Rose von Jericho, Anastatica hierochuntica, stammt aus der Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae), wird auch Wüstenrose genannt und ist eine einjährige Pflanze, die in den Wüsten des Orients von Marokko bis in den Iran vorkommt. Nach der Samenreife stirbt die Pflanze ab, dabei krümmen sich die Blätter um die Samen. Auf diese Weise kugelig verpackt können die Früchte mit dem Wind über den Wüstenboden gerollt und damit ausgebreitet werden (das wird als Chamaechorie bezeichnet). Gelangen sie in ein feuchtes Gebiet oder beginnt es zu regnen, quillt das Pflanzenknäuel auf und gibt die Samen frei, die am neuen Standort keimen können. Mit diesem scheinbaren Wiederbelebungsmechanismus, der der Wüstenrose auch den Namen „Auferstehungspflanze“ (griech. anastasis = Auferstehung) verliehen hat, hat sie sich raffiniert an ihre Umweltbedingungen angepasst.

Zwei weitere Pflanzen mit einem ähnlichen Mechanismus werden auch unter dem Namen, aber als unechte Rose von Jericho, gehandelt: Zum einen die zur Familie der Korbblütler (Asteraceae) zählende Pallenis hierochuntica. Sie ist ebenfalls einjährig und in den Steppen und Wüsten von Nordafrika bis Vorderasien verbreitet. Wenn sie die Fruchtreife erreicht, umschließen ihre Hüllblätter die Früchte und geben diese erst bei Befeuchtung wieder frei (dieser Vorgang wird Hygrochasie genannt).

Am ehesten im Handel angeboten wird eine weitere Form der quellenden Wunderblume, der Moosfarn Selaginella lepidophylla. Er kommt in den Trockengebieten von Arizona und Texas über Mexiko bis El Salvador vor. Die Blätter dieser mehrjährigen Pflanze sind meist ballenartig zusammengerollt und schützen den Vegetationspunkt vor der Trockenheit. Wenn es regnet, entfaltet sich Selaginella rosettenartig und ergrünt.

Bei allen unter dem Namen Rose von Jericho bekannten Pflanzen beruht das Wiederbeleben auf rein physikalischen Quellungsvorgängen, die auch nach dem Absterben weiter funktionieren. Deshalb kann man sie jahrelang im trockenen Zustand aufbewahren und jederzeit

Das scheinbare Erblühen, die Entfaltung wie eine Rosenblüte, inspirierte wohl im 12. und 13. Jahrhundert geschäftstüchtige Händler im Heiligen Land, die Pflanze Pilgern und Kreuzfahrern als Wunder anzupreisen und für teures Geld zu verkaufen. An Heiligabend ins Wasser gelegt, sollte sie ihre volle Wunderkraft entfalten und dabei das Schicksal der Anwesenden gedeutet werden. Auch Heilkräfte wurden der Rose von Jericho zugeschrieben: Ihr Sud sollte die Geburt erleichtern. Und als Glücksbringer für sein gesamtes Leben bekam das Neugeborene die Rose dann geschenkt. Neben dem Bett aufgestellt, soll sie für einen tiefen, ruhigen Schlaf mit schönen Träumen sorgen.

Für ein kleines Geschenk, etwa ein Schmuckstück, eignet sich die Rose von Jericho als originelle Verpackung: „Blüht die Rose auf“, offenbart sie ihren Schatz.

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zuletzt bearbeitet am 22.XII.2013