29.Jan.2015
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Im Würgegriff der Kälte: Wie Tier und Pflanze über den Winter kommen
N. N.
Wenn der Winter die Natur fest im Griff hat, dann befinden sich viele Pflanzen und Tiere im Ausnahmezustand. Fledermäuse, Igel oder Murmeltiere fallen in den Winterschlaf, wobei sie ihre Körpertemperatur auf Werte zwischen ein und neun Grad Celsius absenken und ihre Stoffwechselvorgänge stark verlangsamen. Zwar wachen sie einige Male während der Ruhephase auf, aber das sollte nicht zu oft passieren, sonst verbrauchen sie zu viel Energie und überstehen den Winter nicht. Wer also Tiere im Winterschlaf findet, der sollte sie auf keinen Fall stören. Anders als die Winterschläfer halten Eichhörnchen, Waschbären oder Bären nur eine Winterruhe. Sie senken ihre Körpertemperatur weit weniger als die Winterschläfer und wachen wesentlich häufiger auf. Erstaunlich ist übrigens, dass diese Tiere, anders als der Mensch, trotz ihrer Inaktivität ihre Muskelmasse erhalten.
Ein Rekordhalter unter den kälteresistenten Wirbeltieren ist der nordamerikanische Eisfrosch, der seine Körpertemperatur bis auf minus fünf Grad absenken kann. Damit seine Zellen nicht durch spitze Eiskristalle zerstört werden, verändert der Eisfrosch gezielt die Zusammensetzung seines Blutes. Einerseits erhöht er den Glucosespiegel, wodurch der Gefrierpunkt des Wassers sinkt. Das gleiche Prinzip nutzen wir übrigens bei der Verwendung von Streusalz im Winter. Aber der Eisfrosch hat noch einen weiteren Trick auf Lager, der es ihm erlaubt, sogar einen Großteil seiner Körperflüssigkeit gefrieren zu lassen: Er bildet sogenannte eisstrukturierende Proteine (ESP). Diese Moleküle verhindern, dass Eiskristalle die uns bekannten spitzen Nadeln ausbilden und stattdessen in einen glasartigen Zustand übergehen. Dadurch werden die Zellen nicht mehr beschädigt. Natürlich hat der Mensch sich auch dieses Phänomen zunutze gemacht und seit einigen Jahren werden ESP in der Lebensmittelindustrie eingesetzt, um besonders cremiges Speiseeis herzustellen. Winzige Mengen reichen aus, um die unerwünschte Bildung größerer Eiskristalle zu verhindern, das Eis besser verarbeitbar zu machen und länger genießbar zu halten.
Aber auch Pflanzen haben ihre Strategien, um unbeschadet über den Winter zu kommen. Sie reduzieren zum einen die Oberfläche, indem sie Laub abwerfen und so die Verdunstung verringern. Stauden lassen sogar alle oberirdischen Teile absterben und ziehen sich völlig in den Boden zurück. Gefrorenes Wasser ist biologisch nicht verfügbar und so ist das Vertrocknen die größte Gefahr für Pflanzen im Winter. Alle verwertbaren Stoffe werden als speicherfähige Nährstoffe eingelagert und das grüne Chlorophyll baut sich in der Herbstsonne schnell ab, wodurch die sonst überdeckten gelben und roten Blattfarbstoffe (Xanthophylle/Carotenoide) zum Vorschein kommen. Wie der Eisfrosch bilden auch Pflanzen große Mengen Glucose in ihren Zellen. Ahornsirup wird aus dem Grund am Ende des Winters geerntet, wenn der zuckerhaltige Saft aus den Wurzeln zurück in die Äste fließt. Aber es gibt auch Pflanzen, die der Kälte ein besonders raffiniertes Schnippchen schlagen: Viele Zwiebelpflanzen müssen „früh raus“, bevor andere ihnen das Licht streitig machen. Sie produzieren daher selber Wärme und bohren sich noch bei Frost durch den Schnee. Bei Schneeglöckchen, Krokus und Winterling kann man das sehr schön beobachten.
Viele Pflanzensamen benötigen zum Keimen eine längere Kälteperiode. Damit stellen sie sicher, dass nicht bereits im Herbst Sämlinge entstehen, die dann im feucht-kalten Winter gleich eingehen. Gärtner helfen dem Abbau der keimhemmenden Substanzen dadurch nach, dass sie die Samen für einige Zeit in die Gefriertruhe stecken und dann im Gewächshaus aussäen. Aber nicht nur die Keimung, sondern auch die Blüte wird manchmal erst durch Kältereize ausgelöst. Dieser „Vernalisation“ genannte Prozess verhindert beispielsweise, dass unser Winterweizen vorzeitig blüht. So hat die Evolution erstaunliche Strategien entwickelt, damit unsere Natur gut über den Winter kommt.
zuletzt bearbeitet am 12.II.2015