14.Jan 2016
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Die Kunst, zur richtigen Zeit zu keimen
Thomas Eßing
Wenn die Samen einer Rotbuche im Herbst zu Boden fallen, keimen die Bucheckern nicht sofort aus, sondern warten mindestens bis zum nächsten Frühjahr ab. Anderenfalls würden die frostigen Temperaturen der kalten Jahreszeit die empfindlichen jungen Pflanzen sofort sterben lassen. Woher wissen die Samen aber, wenn es wie letzten Dezember über längere Zeit frühlingshaft warm ist, wann der richtige Zeitpunkt zum Start in ein neues Baumleben gekommen ist?
Wenn heimische Gehölze im Herbst ihre Samen reifen lassen, versehen sie diese in der Regel mit einer Keimhemmung. Diese steigt bei Bucheckern umso stärker, je mehr sie vor dem Winter austrocknen. Wenn in einem regenarmen Herbst die Samen auf ausgetrocknetem Boden fallen, kann ihr innerer Wassergehalt auf zehn Prozent absinken. In diesem Zustand können sie viele Jahre keimfähig bleiben. Wenn anschließend ein trockener Sommer oder gar mehrere hintereinander folgen, können die Samen das unbeschadet überstehen. Sie haben ihre Lebensaktivität während dieser langen Wartezeit so weit heruntergefahren, dass ihre eingelagerten Reservestoffe für mehrere Jahre reichen. Erst in einem Frühjahr mit hohen Temperaturen bei gleichzeitig großer Feuchtigkeit wird die Keimhemmung abgebaut und es kommt zur Keimung.
Apfelsamen müssen zum Abbau ihrer Keimhemmung mehrere Kälteperioden hintereinander erleben, um auszutreiben. Hierbei sind zwischenzeitliche Wärmeperioden, wie sie bei uns in jedem Winter vorkommen, sogar von Vorteil. Ist dies bis zum Frühjahr erfolgt, kommt es aber erst bei passender warmer Bodentemperatur zur Keimung. Fehlt dann aber durch eine Trockenperiode das Wasser, wird neuerlich eine Keimhemmung aufgebaut. Nur wenn also eine Vielzahl von Komponenten gleichzeitig erfüllt ist, kommt es zur Keimung. Anderenfalls wird der Stoffwechsel im Samen wieder heruntergefahren, um auf bessere Zeiten zu warten.
Die Samen in den Hagebutten von Rosen warten auf die Verbreitung durch Vögel. Deshalb haben sie eine harte Samenschale, die den aggressiven Substanzen in einem Vogelmagen widerstehen kann. Ohne diese Substanzen kann sich der Abbau der Samenschale so lange verzögern, dass die Keimfähigkeit dann bereits verlorengegangen ist. Die Samen müssen also gefressen werden, um anschließend optimal keimen zu können. Der Vorteil, den es bringt, durch einen Vogel über weite Distanzen transportiert zu werden, ist so groß, dass andere Möglichkeiten der Verbreitung vernachlässigt werden. Wurde der Samen tatsächlich transportiert, ist der erste Keimschutz abgebaut. Anschließend braucht der Samen aber noch eine Kältesumme, ähnlich wie beim Apfel, um tatsächlich keimen zu können. So wird einerseits eine großräumige Verbreitung und andererseits ein Abwarten bis zum nächsten Frühjahr sichergestellt.
Gespeicherte Energie
Die Früchte der Stieleiche verfügen durch ihre Größe über viel gespeicherte Energie. Mit dieser kommen sie nicht nur gut durch den Winter, sondern können nach der Keimung schnell dem Schatten der Krautschicht entfliehen. Da bei solch großem Samengewicht Flügel keinen Sinn machen würden, um durch Wind über weite Entfernungen getragen zu werden, verlassen sie sich auf die Dienste des Eichelhähers. Dieser verteilt sie in weitem Umkreis und versteckt die Eicheln in kleinen Nahrungsdepots, aus denen die überzähligen im nächsten Frühjahr keimen.
Solche größeren Samen vertragen Trockenheit aber nur schlecht. Deshalb verbringen sie den Winter am besten unter einer Schicht aus feuchtem Laub.
Da in den Samen bereits Blätter, Spross und Wurzel fertig entwickelt sind, geht bei der Keimung alles sehr schnell. Wie ein gepresster Schwamm, der in Wasser fällt, strecken sich die Zellen bei Wasseraufnahme auf das Vielfache ihrer Ausgangsgröße. Die Keimblätter entfalten sich, und die Wurzel schiebt sich in den Boden. Dies alles geschieht ohne Zellteilung, da dies in der Konkurrenzsituation am Boden viel zu lange dauern würde. Die Pflanze kann nun über die Fotosynthese der Blätter neue Energie gewinnen. Erst jetzt beginnt sie mit der Zellteilung, um sich weiter zu vergrößern.
zuletzt bearbeitet am 31.I.2016