23.Juni 2016
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Glühwürmchen, die „fliegenden Sterne“, leuchten der Liebe wegen
Karl Josef Strank
Vor Jahren habe ich in der Nähe des Königssees im Berchtesgadener Land an heißen schwülen Tagen, als ich in der Dämmerung auf einer Terrasse saß, über eine gemähte Wiese blickend an einem Waldrand eine Vielzahl sehr greller, hüpfender Lichtpunkte, die eine kurze Zeit lang aufleuchteten, erloschen, um gleich wieder an anderer Stelle aufzuleuchten, beobachtet. Ich dachte, wer spielt denn da mit Taschenlampen und sendet wirre Botschaften, war dann aber überrascht von der Vielzahl der Lichtpunkte entlang des Waldrands und der Beharrlichkeit und Dauer dieses Schauspiels. Es brauchte eine Zeit, bis ich darauf kam, das können nur Glühwürmchen sein, die dort mit Ausdauer und immer wiederholten Lichtsignalen auf Partnersuche sind. An darauffolgenden Abenden konnte ich dieses Geschehen noch mehrmals beobachten.
Es ist schon ein erstaunliches Phänomen und überrascht sehr, wenn man es in natura erlebt. Dabei ist das Leuchten weiter verbreitet, als man annimmt, und sogar einige Bakterien sind dazu in der Lage. Auffällig ist es in jedem Fall, und schon Plinius berichtet in seiner Naturgeschichte davon. Er benutzte das Erscheinen der Johanniswürmchen auf den Feldern im Juni als Zeitmarke im Jahresverlauf für Ernte und Aussaat. Die stellantes volatus, „fliegenden Sterne“, wie die Bauern sie nannten, zeigten die Ernte der Gerste und die Aussaat der Hirse an.
Glühwürmchen gehören zu den Leuchtkäfern (Lampyridae) und sind in Mitteleuropa mit drei Arten vertreten. Das sind der große Leuchtkäfer, das eigentliche Glühwürmchen (Lampyris noctiluca), der kleine Leuchtkäfer, das Johanniswürmchen (Lamprohiza splendidula) und der Kurzflügel-Leuchtkäfer (Phosphaenus hemipterus). Die weiblichen Tiere sind bei allen drei Arten flugunfähig. Die Männchen sind flugfähig und weisen auf den Halsschilden pigmentlose Fenster auf. Die Männchen des eigentlichen Glühwürmchens leuchten aber nicht, so dass ein fliegender Leuchtkäfer mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Johanniswürmchen, ein Lamprohiza splendidula-Männchen ist. Juni und August ist die „helle“ Zeit der Leuchtkäfer. Die Larven schlüpfen ab Ende August und beginnen sofort mit der Jagd auf Schnecken, die ihre Hauptnahrung ausmachen. Das freut den Gärtner und macht Glühwürmchen zu äußerst nützlichen Tieren im Garten. Die gefräßigen Larven entwickeln sich über insgesamt fünf Häutungen weiter, überwintern und verpuppen sich Anfang Juni. Nach acht bis elf Tagen der Puppenruhe schlüpfen die erwachsenen Käfer, die keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Sie machen sich gleich auf Partnersuche, wobei die Leuchtsignale ihnen den Weg weisen. Um diese zu senden, verfügen die Käfer über ein eigenes Leuchtorgan. Das befindet sich in den hinteren Segmenten des Hinterleibs. Dort erzeugen sie ein kaltes, sehr helles Licht. Es ist so stark, dass man in einem abgedunkelten Raum mit einem Glühwürmchen als Kopfleuchte, wie sie Radfahrer, Bergsteiger und Höhlenforscher gelegentlich benutzen, sogar ein Buch lesen könnte.
Die Biolumineszenz, wie man die Erzeugung kalten Lichtes durch Lebewesen mit einem Fachterminus bezeichnet, entsteht durch eine biochemische Reaktion im Stoffwechsel der Leuchtkäfer. Dabei oxidiert Luciferin mit Hilfe des Katalysator-Enzyms Luciferase unter Verbrauch von Sauerstoff und Energie. Der Leuchtstoff Luciferin fällt dabei von einem angeregten in einen Zustand niedrigerer Energie und setzt den Überschuss in Form von Licht mit einem Wirkungsgrad von 95 Prozent frei. Nur fünf Prozent verpuffen als Wärme. Die Effektivität von Leuchtdioden liegt weit darunter. Interessant ist auch die Haut des Leuchtorgans, sie lässt sehr viel Licht nach außen dringen. Mit einer technisch erzeugten, ähnlich aufgebauten Außenschicht gelang es, die Lichtausbeute von Leuchtdioden deutlich zu steigern.
Glühwürmchen haben aber auch was Elfenhaftes und Magisches. Ein Zauberwald ohne Glühwürmchen ist nicht denkbar. In Träumen spielen sie ebenfalls eine Rolle, denn sie symbolisieren das Aufflackern einer
alten Sehnsucht oder einer alten Liebe. Sie repräsentieren den Funken einer Leidenschaft, die wieder entfacht werden will. Glühwürmchen stehen für den kleinen Hoffnungsschimmer, der durch die Nächte des Lebens führt.
zuletzt bearbeitet am 12.VII.2016