28.Juli 2016

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Das Karlszepter – ein Pflanzenparasit mit majestätischer Ausstrahlung

Karl Josef Strank

Es gibt Pflanzen, die schon vom Namen her unangenehme Assoziationen hervorrufen. So wird eine Gattung, früher zu den Rachenblütlern gestellt, als Läusekräuter bezeichnet. Die sprichwörtliche Laus im Pelz hat keiner gerne. Läuse haben kein gutes Image. Läuse sind lästige Parasiten, die auch den Menschen befallen und Blut saugen. Als herbae pedicularis werden die Pflanzen seit der Antike geführt. Die Deutung aber, warum sie mit pediculus, der „kleinen Laus“ in Verbindung gebracht werden, ist nicht eindeutig zu beantworten. Hieronymus Bock machte 1539 in seinem Kräuterbuch hierzu folgende Ausführungen: „Einige nennen es Läuse-Kraut, weil die Thiere Läuse davon bekommen sollen, wenn sie es essen, indem sich in demselben die Nisse verbergen sollen, so hernach in dem Bauch erst ausschliefen. Andere meynen, es vertreibe die Läuse, noch andere, es sehe in den Blättern den Läusen auf den Rücken ähnlich oder die Blätter selbst zackten sich wie Läuse an die Stengel; als dieses ist gezwungen oder ungewiß.“ Simon Pauli (um 1650) merkt an, „man könne diß Kraut zu nichts gebrauchen und bringt uns solches auf den Gedanken, als wenn man zur Verachtung es um der Ursach willen Läusekraut genennt.“ Eine weitere Möglichkeit zur Erklärung des Namens ergibt sich über die Samen, denn diese sind flach und zusammengedrückt. Darin ähneln sie Läusen.

In einem Aspekt ihrer Lebensweise sind die Läusekräuter den Läusen sogar sehr ähnlich, sie leben nämlich ebenfalls als Parasiten. Das sieht man allerdings den Pflanzen so nicht sofort an, denn sie haben ganz normales Blattgrün und unterscheiden sich nicht von anderen Pflanzen, die sich durch ihre Wurzeln selbst ernähren. Die Wurzeln der Läusekräuter bilden aber spezielle Kontaktorgane, sogenannte Haustorien, mit denen sie die Wurzeln anderer Pflanzen, ihrer Wirte, angreifen und in sie eindringen. Als grüne Parasiten oder Halbschmarotzer beziehen sie von ihren Wirten Wasser und Mineralsalze. Die organischen aus der Photosynthese entstandenen Nährstoffe zapfen sie nicht an. Wegen dieser charakteristischen Eigenschaft sind nah verwandte Arten wie Wachtelweizen, Augentrost, Alpenhelm, Klappertopf, Zahntrost und Schuppenwurz, die früher allesamt zu den Rachenblütlern gezählt wurden, der Familie der Sommerwurzgewächse zugeordnet worden, die ebenfalls eine parasitäre Lebensweise auszeichnet.

Die Läusekräuter finden sich in Mooren, Sümpfen und nassen Wiesen. Etliche Arten sind in den Matten und Schuttfluren der Alpen verbreitet. Das Sumpf-Läusekraut (Pedicularis palustris) kann in Wiesen bis zu einem Meter groß werden und massenhaft auftreten. Das Vieh meidet die Pflanzen, geraten aber größere Mengen ins Futter, kann das zu ernsthaften Erkrankungen führen.

Die beeindruckendste Art der Läusekräuter ist Pedicularis sceptrum-carolinum, auch Moorkönig oder Königszepter genannt. Die in einer Grundrosette angeordneten fast farnartig anmutenden, fiederspaltig-fiederteilig, in den Lappen gekerbten Blätter sind gestielt. Der ährige Blütenschaft erreicht eine Höhe von 40–80 cm. Die schwefelgelben, zweiseitig symmetrischen, etwa 30 Millimeter langen Blüten haben eine langröhrige, zweilippige Krone, deren Unterlippe leuchtend rot und dreiteilig ist. Bestäubt werden die Blüten überwiegend von Hummeln. Bestäubte Blüten machen einen geöffneten Eindruck, weil die Hummeln seitlich in die Blüte eindringen und die Unterlippe asymmetrisch verschieben, was sich nach dem Blütenbesuch auch nicht mehr zurückbildet.

Jetzt ist man geneigt anzunehmen, dass diese majestätische Pflanze zu Ehren Karls des Großen als Karlszepter benannt wurde. Der Beschreiber, der schwedische Botaniker Olof Rudbeck, benannte sie 1701 aber zu Ehren des letztendlich glücklosen, schwedischen Königs Karl XII., der von 1682-1718 lebte und sein Land durch den großen nordischen Krieg führte, an dessen Ende Schweden seine Vormachtstellung einbüßte.

Da bei uns die Moore weitgehend verschwunden sind, ist das Karlszepter in Deutschland akut vom Aussterben bedroht. Der Verband Botanischer Gärten koordiniert den Schutz der Art über Ex-situ Kulturen. Das sind Nachzuchten in Gärten außerhalb des natürlichen Lebensraumes.

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zuletzt bearbeitet am 11.VIII.2016