11.Aug. 2016

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Weiße Zaunrübe - eine Heilpflanzeaus dem Mittelalter

Ruth Gestrich-Schmitz

Wer sich heutzutage krank fühlt und ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt, muss nicht mehr befürchten, dass der Körper vor der Behandlung gereinigt wird wie es im Mittelalter der Fall war: Man ließ den Patienten zunächst zur Ader, und es wurde kräftig abgeführt. In der Pflanzenliste der Landgüterverordnung Karls des Großen sind etliche Kräuter aufgeführt, die der Reinigung (Purgierung) des Körpers dienen. Dazu gehört die Weiße Zaunrübe (Bryonia alba) aus der Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae), die vor allem in Osteuropa beheimatet ist. Die Zweihäusige Zaunrübe (Bryonia dioica) findet man eher in Westeuropa. Beide Arten sind seit alters her Heilpflanzen und wurden in alten Kräuterbüchern oft als eine Pflanzenart beschrieben. Jedoch ist die rotbeerige Zaunrübe zweihäusig, d.h. weibliche und männliche Blüten befinden sich auf zwei verschiedenen Pflanzen, bei der Weißen Zaunrübe auf derselben Pflanze (einhäusig). Beide Arten sind Kletterpflanzen und winden sich mit spiralig gedrehten Ranken an Gebüschen, Hecken und Zäunen empor. Der Name „bryonia“ wurde von Plinius für Kletterpflanzen geprägt und dürfte vom griechischen „brýein“ (üppig sprossen) kommen.

Die Weiße Zaunrübe ist eine winterharte Staude, deren Stängel aus einer rübenartigen, dicken, leicht wulstig geringelten Wurzel heranwächst. Die wechselständig angeordneten Blätter sind in fünf dreieckige, scharf gezähnte Lappen geteilt. Im Juni/Juli erscheinen weiße, mit grünen Adern durchzogene, glockenförmige, fünfzipflige Blüten, die weiblichen mit einer kahlen Narbe. Im August/September reifen daraus erbsengroße, erst dunkelgrüne, im reifen Zustand schwarze Beeren. Alle Pflanzenteile sind giftig, besonders die Beeren und die Wurzel, bedingt durch verschiedene Bitterstoffe: Cucurbitacine und deren Glykoside. Der Verzehr von 40 Beeren kann für einen Erwachsenen tödlich sein, für Kinder gelten 15 Beeren als tödliche Dosis. Vergiftungserscheinungen nach Einnahme äußern sich in Übelkeit, Schwindel, Erbrechen, Durchfall, heftigen Koliken bis hin zur Atemlähmung. Die Berührung mit dem milchigen Saft der Wurzel kann entzündliche Hauterscheinungen hervorrufen.

Bereits im Altertum wurde die Wurzel der Zaunrübe mit Öl oder Wein vermischt als Heilmittel bei Gicht, Epilepsie, Lähmung, Schlaganfall, Wundbrand und Husten angewendet. Dioskorides empfahl sie auch zur Reinigung der Haut: Sie vertreibe „die Spruteln, Mackeln, Massen und die kleinen Knöfflin deß Angesichts“. Er warnte aber gleichzeitig vor zu reichlicher Anwendung! Hildegard von Bingen schrieb über die Zaunrübe: Sie habe so viele „unwerte und unangenehme Säfte“ in sich, dass sie sowohl die Menschen als auch die schlimmen Würmer töte. Die Zaunrübe wurde als drastisches Abführmittel eingesetzt, was ihr den Namen Scheißwurz einbrachte. Wegen ihrer krampfauslösenden Wirkung wendete man sie in Form von Vaginalzäpfchen auch als Abtreibungsmittel an.

Die Wurzel der Zaunrübe, geschnitzt und zurechtgestutzt, nutzte man im Mittelalter als Alraunen-Ersatz. Der echten Alraunen (Mandragora officinalis) - Wurzel wurden wegen ihrer menschenähnlichen Gestalt magische Kräfte zugeschrieben. Zaunrübenwurzel sollte, im Haus aufgehängt, gegen Gewitter, und am Hals getragen gegen Hexen schützen. A. von Perger berichtet, dass sie Liebeszauber ausüben und Zuneigung hervorrufen könne. So trugen Mädchen zum Tanz getrocknete Wurzelscheiben in ihren Schuhen und sangen: „Körfchenswurz in meinem Schuh, ihr Junggesellen lauft mir zu“. Die unterschiedlichen Namen der Weißen Zaunrübe im Volksmund zeugen von ihren vielfältigen Anwendungen und Bedeutungen: Teufelskirsche, falsche Alraune, Tollrübe, Gichtrübe und viele mehr.

In der heutigen Medizin werden Wurzelextrakte der Weißen Zaunrübe in homöopathischen Mitteln verarbeitet. Anwendungsgebiete sind vor allem Rheuma, Gicht und Muskelschmerzen, Verdauungsbeschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, Atemwegserkrankungen wie Husten, Bronchitis, Brustfell- und Lungenentzündung. Wissenschaftler fanden 1966 Antitumor-Eigenschaften in Extrakten von getrockneten Wurzeln, die jedoch wegen der stark toxischen Wirkung therapeutisch nicht genutzt werden.

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zuletzt bearbeitet am 11.VIII.2016