22.Sept. 2016
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Spinnen führen ein Leben am seidenen Faden
Bernd Cüppers
Nun ist der Sommer wieder vorbei, die Schwalben und Stare sammeln sich und die Mauersegler haben uns vor Wochen schon verlassen. Sie sind auf dem Weg nach Afrika. Es beginnt der Altweibersommer. An ruhigen Herbsttagen ist die Vegetation mit feinen grauen Fäden überzogen, Unmengen kleiner Spinnen haben ihre Spuren hinterlassen. Sie begeben sich im Herbst auf die Suche nach neuen Lebensräumen. Viele Arten verbreiten sich am Fadenfloß durch die Luft. Ballooning nennt das der Spinnenkundler. Sie klettern im Herbst bei guter Thermik auf einen erhöhten Platz. Das kann ein Zaunpfahl oder ein alter Blütenstand einer größeren Staude sein. Dort produzieren sie einen langen Faden, der durch die warme aufsteigende Luft nach oben getrieben wird. Ist der Auftrieb groß genug, hebt die Spinne ab und gleitet durch die Luft. Sie erreichen so auch hohe Luftschichten. Man hat Spinnen mit Flugzeugen in mehreren tausend Metern Höhe gefangen oder in der Takelage von Schiffen viele Kilometer vom nächsten Land entfernt. Es ist Zufall, wo sie landen. Viele gehen so zugrunde, aber einige erreichen so auch neue oder neu geschaffene Lebensräume und besiedeln sie. Auf den Bergehalden, die zur Zeit des Steinkohleabbaus in unserer Region entstanden sind und vor 40 Jahren noch aus blankem, schwarzem Gestein bestanden, kann man 200 verschiedene Spinnenarten nachweisen. Viele von ihnen sind wohl „zugeflogen“.
Jede Art hat etwas Besonderes. Mit einer Springspinne kann man Flohzirkus veranstalten. Sie erbeuten ihre Nahrung im Sprung, nur mit einem Sicherungsfaden vor dem Absturz geschützt. Auf die Hand genommen, springt sie von Finger zu Finger oder auch vom Finger aus auf die Nase, wenn man sie zu nahe vors Gesicht hält. Krabbenspinnen können ihre Farbe wechseln, je nach Farbe der Blüte, auf der sie den Insekten auflauern. Die Zitterspinnen in meiner Wohnung sehen aus wie Weberknechte. Sie sind so zart und feingliedrig, und können doch im Verhältnis zu ihrer Größe riesige Insekten fangen und sie durch eine Gelenkhaut am Fühler oder Bein aussaugen. Der Mann der wundersamen Jagdspinne bringt zur Brautwerbung eine Fliege mit, die er der Auserwählten überreicht. Eine nette Geste, auch wenn der Bräutigam die Fliege gelegentlich selber vorher aussaugt. Wolfsspinnen jagen im Rudel, und die Netze der vielen anderen Spinnenarten sind wahre Kunstwerke, die man besonders im Morgentau schöner Herbsttage bewundern kann.
Spinnen sind faszinierende Lebewesen, auch wenn viele Menschen sich vor Spinnen fürchten. Spinnen sind für die meisten Menschen eklig, man bekommt Angst vor dem Uneinschätzbaren. Spinnen haben keine Mimik, sind fürchterlich behaart, haben acht Beine und bewegen sich schnell und ruckartig fort. Sind Spinnen im Haus, so verraten sie sich durch ihre Fanggespinste, die wiederum die sauberste Familie diskreditieren. Werden Sie in der Wohnung erwischt, sterben sie im Staubsauger oder unter dem Pantoffel. Schließlich machen sie die häßlichen Spinnweben und sind noch dazu alle giftig. Erwischen sie nichts mit ihrer Fangwolle, so verhungern sie und sterben ebenfalls.
So hängt das Leben der Spinnen förmlich am seidenen Faden.Selbst wenn man Spinnen nicht mag, gibt es doch einen Grund, sich über sie zu freuen: Wenn wir keine Spinnen hätten, würden wir durch Insekten waten. Sie würden die ganze Erde bedecken. Man kann pro Quadratmeter gesundem Lebensraum, etwa einer naturnahen Wiese, 130 Spinnen finden. Die meisten sind sehr klein. Wenn jede nur ein Tausendstel Gramm Nahrung pro Tag frißt, macht das 500 kg Insekten pro Jahr und Hektar (10 000 Quadratmeter sind ein Fußballplatz). Selbst wenn einem das zu viel vorkommt und man die Menge halbiert, so sind das immer noch 250 kg. Das sind zehn Kartoffelsäcke voll Insekten.
Das alleine sollte uns Grund genug sein, sie mit Wohlwollen zu betrachten und sie in unseren Feldern und unseren Häusern anzusiedeln und zu dulden.
Wie sagte Horst Stern in seinem Buch über das Leben der Spinnen: „Gegen Spinnenfurcht hilft nur Spinnenwissen!“
zuletzt bearbeitet am 7.X.2016